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Macht Vakuum

Macht Vakuum

Titel: Macht Vakuum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Bremmer
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EINLEITUNG
    G-Null

Eine Weltordnung, in der kein einzelnes Land
    und keine dauerhafte Allianz von Ländern die
    Probleme globaler Führung bewältigen können.
    Im Oktober 2011 führte ich an einem wunderschönen Abend im Napa Valley ein Gespräch mit Paul Martin, dem Schöpfer der Gruppe der 20 (G20), des Forums, in dem 19 Länder und die Europäische Union über Lösungen für dringende internationale Probleme verhandeln. Ich hatte gerade eine Rede gehalten, in der ich die Ansicht vertrat, dass die Institution der G20 nicht funktioniert, weil sie tendenziell mehr Probleme schafft als löst.
    Martin war 1993 bis 2002 Finanzminister und von 2003 bis 2006 Premierminister von Kanada und hatte damals die Verbündeten seines Landes mit der These genervt, dass die westliche Vorherrschaft in den internationalen Finanzinstitutionen im Schwinden begriffen sei. Er vertrat die Ansicht, dass die Welt ein neues Forum brauche, in das auch führende Schwellenländer aufgenommen werden müssten. Die politischen Entscheidungsträger in Washington, Westeuropa und Tokio hatten Martins Gedanken mit höflicher Missachtung gestraft, bis sie 2008 angesichts der Finanzkrise einräumen mussten, dass er vielleicht doch recht hatte. Drei Jahre später war die G20 eine feste Einrichtung der internationalen Politik.
    Martin und ich führten ein freundschaftliches Streitgespräch. Ich vertrat genau wie in meiner Rede die Ansicht, dass die G20 eher eine Sehnsucht als eine konkrete Organisation sei. 20 Mitglieder seien zu viel, und sie hätten für einen substantiellen Fortschritt in wichtigen Fragen zu wenige Gemeinsamkeiten, so dass sie sich nur unter extremsten Bedingungen einigen könnten. Martin entgegnete, durch die G20 seien mehr Länder als je zuvor am Erfolg der Weltwirtschaft und an der Lösung der weltweiten politischen und sicherheitspolitischen Probleme beteiligt.
    Dann nahm das Gespräch eine unerwartete Wendung: Martin sagte, er habe die Gründung der G20 nicht deshalb so früh vorgeschlagen, weil sie seiner Vision von internationaler Führung entsprochen habe, sondern weil sie das Beste für Kanada gewesen sei. Sein Land war lange Mitglied der G7 gewesen – sicherlich eine privilegierte Position, aber in einer zunehmend irrelevanten Organisation. Als er sich dafür eingesetzt hatte, einen seiner Ansicht nach unvermeidlichen Trend zu akzeptieren, hatte er geglaubt, Kanada könne seinen erstklassigen Platz auf einem sinkenden Schiff gegen einen sicheren Platz auf einem größeren Schiff eintauschen. Und er hatte gehofft, für sein Land wertvolle neue Freunde zu gewinnen, indem er sich führend am Bau dieses Schiffes beteiligte. Wie alle Länder in der G20 hatte auch Kanada seine spezifischen Gründe, warum es in der Gruppe war.
    Später am Abend, als ich mir unser Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen ließ, sah ich mich an einem gewaltigen Pokertisch sitzen, an dem jeder Spieler eifersüchtig seine Chips bewacht, die anderen 19 Spieler genau beobachtet und auf eine Gelegenheit wartet, seine Karten auszuspielen. Das ist keine globale Ordnung, sondern jedes Land steht für sich. Wenn aber die G7 nicht mehr wichtig ist und die G20 nicht funktioniert, in was für einer Welt leben wir dann heute?
    Zum ersten Mal seit sieben Jahrzehnten leben wir in einer Welt ohne globale Führung. In den Vereinigten Staaten hat der endlose Parteienstreit in Kombination mit der großen Staatsverschulung die Furcht geweckt, dass Amerikas beste Tage vorbei sein könnten. Jenseits des Atlantiks beeinträchtigt eine Schuldenkrise das Vertrauen in Europa, in seine Institutionen und in seine Zukunft. Japan fällt es offenbar leichter,sich von einem Erdbeben, einem Tsunami und einer atomaren Kernschmelze zu erholen, als seine 20-jährige politische und wirtschaftliche Malaise zu bewältigen. Noch vor einer Generation waren die genannten Regionen die Machtzentren der Welt. Zusammen mit Kanada bildeten sie die G7, die Gruppe der demokratischen Staaten mit freier Marktwirtschaft, die die Weltwirtschaft am Laufen hielten. Heute müssen sie um ihren bloßen Bestand kämpfen.
    Keine Sorge, sagen jene, die den »Aufstieg der Anderen« verkünden. 1 Während die etablierten Mächte ihr spätes Mittelalter erreichten, werde eine neue Generation von Schwellenländern die Flutwelle erzeugen, die alle Länder wieder flottmachen werde. Laut einem breit diskutierten Bericht der Londoner Standard Chartered Bank vom November 2010 ist die Weltwirtschaft in einen »neuen

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