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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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hörte diese Worte, und sie machten ihn betroffen. ›Wie haben sie es erraten können, daß ich Hilfe nötig habe, gerade Hilfe?‹ dachte er in Erinnerung an all die Beängstigungen und Zweifel, die er erst ganz kürzlich durchgemacht hatte. ›Was weiß und verstehe ich denn hierbei aus eigener Macht? Was vermag ich dieser furchtbaren Aufgabe gegenüber ohne Hilfe?‹ dachte er. ›Hilfe habe ich jetzt nötig, ja gerade Hilfe.‹
     
    Als der Protodiakon das Responsorium beendet hatte, wandte sich der Geistliche mit dem Buch zu dem Brautpaar herum:
     
    »Ewiger Gott, der Du die Entfernten zusammengeführt hast zur Vereinigung«, las er mit sanfter, singender Stimme, »und das unzerreißbare Band der Liebe um sie geschlungen hast, der Du Isaak und Rebekka gesegnet und zu Erben Deiner Verheißung gemacht hast: segne Du selbst auch diese Deine Knechte, Konstantin und Jekaterina, und leite sie zu allem Guten. Denn Du bist ein gütiger und gnädiger Gott, und wir lobsingen Dir, dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste, heut und immerdar, und die Ewigkeiten der Ewigkeiten.« – »Amen!« flutete wieder der Gesang des unsichtbaren Chores durch den Raum.
     
    »Der Du die Entfernten zusammengeführt hast zur Vereinigung und das Band der Liebe um sie geschlungen hast« – ›wie tiefsinnig sind diese Worte, und wie genau entsprechen sie dem, was man in einem solchen Augenblicke fühlt!‹ dachte Ljewin. ›Ob sie wohl dasselbe fühlt wie ich?‹
     
    Und nach ihr hinschauend, begegnete er ihrem Blicke.
     
    Aus dem Ausdruck ihres Blickes schloß er, daß sie dieselben Gedanken habe wie er. Aber diese Annahme traf nicht zu: sie hatte überhaupt fast kein Wort von dem Gottesdienste verstanden und während der Verlobung durch den Priester nicht einmal danach hingehört. Sie war nicht imstande, diese Worte zu hören und zu verstehen; so mächtig war bei ihr das eine Gefühl, das ihre Seele erfüllte und sich immer mehr und mehr steigerte. Dieses Gefühl war die Freude über die abschließende Vollendung dessen, was nun schon anderthalb Monate lang sich in ihrer Seele vollzogen hatte und im Laufe dieser ganzen sechs Wochen ihre Wonne und ihre Qual gewesen war. In ihrer Seele hatte sich an jenem Tage, als sie in ihrem braunen Kleide in dem Saal des Hauses in der Arbat-Straße schweigend zu ihm getreten war und sich ihm zu eigen gegeben hatte – in ihrer Seele hatte sich an diesem Tage und in dieser Stunde ein vollständiger Bruch mit ihrem ganzen früheren Leben vollzogen, und es hatte ein völlig anderes, neues, bisher ihr vollständig unbekanntes Leben begonnen, während sie äußerlich das alte Leben fortsetzte. Diese sechs Wochen waren für sie die seligste und die qualvollste Zeit gewesen. Ihr ganzes Leben, all ihre Wünsche und Hoffnungen hatten sich auf diesen einen ihr noch unverständlichen Mann gerichtet, mit dem sie etwas noch Unverständlicheres, als es der Mann selbst war, verknüpfte, nämlich jenes Gefühl, das sie bald zu ihm hinzog, bald von ihm wegstieß; und zugleich hatte sie in den äußeren Verhältnissen ihres bisherigen Lebens weitergelebt. Während sie so ihr altes Leben fortsetzte, war sie über sich selbst erschrocken gewesen, über ihre völlige, unüberwindliche Gleichgültigkeit gegen ihre ganze Vergangenheit: gegen ihre Sachen, gegen ihre Gewohnheiten, gegen die Menschen, die sie bisher geliebt hatten und noch liebten, gegen ihre Mutter, die sich durch diese Gleichgültigkeit gekränkt fühlte, gegen ihren lieben, zärtlichen Vater, den sie vorher über alles in der Welt geliebt hatte. Bald war sie über diese Gleichgültigkeit erschrocken gewesen, bald hatte sie sich über das gefreut, wodurch diese Gleichgültigkeit hervorgebracht worden war. Sie war zu keinem Gedanken, zu keinem Wunsche fähig gewesen, der außerhalb des Zusammenlebens mit diesem Manne gelegen hätte; aber dieses neue Leben war noch nicht Wirklichkeit gewesen, und sie hatte sich nicht einmal eine klare Vorstellung davon machen können. Es war immer nur die Erwartung dagewesen, die bängliche und freudige Erwartung von etwas Neuem und Unbekanntem. Und jetzt, jetzt sollte nun die Erwartung und die Unklarheit und die Selbstanklage wegen der Abkehr von dem früheren Leben, jetzt sollte das alles ein Ende nehmen und das neue Leben beginnen. Dieses neue Leben mußte ihr, weil es ihr noch unbekannt war, notwendigerweise furchtbar erscheinen; aber mochte es furchtbar sein oder nicht, innerlich, in ihrer Seele, hatte sich der

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