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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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    Teil 1
    Die Hofdame von Darmstadt
    Kapitel 1
    Darmstadt, November 1787
    Gerade begann es dunkel zu werden, als eine vornehme Kutsche in einer engen Gasse der Altstadt hielt. Ein livrierter Lakai sprang vom Bock, um dienstfertig den Verschlag zu öffnen. Aus dem Innern des Gefährts zwängte sich eine elegante, ältere Dame mit einer imposanten Leibesfülle und einem herrischen Zug um den Mund.
    Während die Dame ihren missbilligenden Blick über die heruntergekommene Fassade des Hauses schweifen ließ, betätigte ihr Diener den Türklopfer. Erst nach einigen Minuten wurde geöffnet.
    «Die Gräfin Bahro wünscht vom Baron Dornfeld empfangen zu werden.»
    Aus dem Dunkel des Hauses tauchte eine schmale Gestalt im verschlissenen Rock auf und verbeugte sich eilfertig. «Treten Sie ein, gnädige Frau. Ich werde Sie sofort anmelden. Die Herrschaften sind gerade zu Tisch.»
    Die Dame jedoch schob ihren Lakaien energisch mit dem Handrücken zur Seite und ging entschlossenen Schrittes ins Haus.
    «Lass den Schnickschnack, Robert!», herrschte sie den alten Mann an. «Führe mich lieber gleich zu meinem Schwager! Ihm wird schon nicht der Bissen im Hals stecken bleiben, wenn er mich sieht.»
    Der Angesprochene starrte die Dame mit weit aufgerissenen Augen an und nickte nur wortlos. Die Gräfin Bahro folgte ihm ins Innere des Hauses. Im düsteren Vorraum war das spärliche Mobiliar nur schemenhaft zu erkennen. Nachdem sie zwei weitere dunkle Räume durchquert hatten, hielten sie vor einer Tür, durch die ein schmaler Lichtstreif fiel. Robert klopfte kurz und öffnete dann.
    Die Gräfin Bahro drängte sich an ihm vorbei in eine Stube, die in schummriges Licht getaucht war. Die kleinen Fenster ließen kaum Helligkeit herein, und an dem Leuchter, der von der Decke hing, waren nur einige wenige Kerzen angezündet.
    In der Mitte des Raumes stand ein langer Tisch, an dem fünf Personen über ein kärgliches Mahl gebeugt saßen. Als die Gräfin eintrat, hoben sie die Köpfe und starrten sie an, als sei ihnen ein Geist erschienen. Die zwei Frauen der Runde ließen ihre Löffel fallen und sprangen wie vom Blitz getroffen auf.
    «Frau Gräfin!», rief die eine, deren Hohlwangigkeit ihr im flackernden Kerzenschein etwas Vogelscheuchenartiges verlieh. «Warum haben Sie Ihr Kommen nicht angekündigt? Der Herr Baron hätte Sie gebührend empfangen können!»
    «Sparen Sie sich Ihre Albernheiten, Frau von Herben!», erwiderte die Gräfin Bahro und wandte sich an einen ausgemergelten Greis, der am Kopfende der Tafel thronte. «Guten Abend, lieber Schwager!»
    Der Alte erhob sich unter einiger Anstrengung. «Liebste Charlotte!», sagte er mit bebender Stimme. «Was für eine Überraschung! Setzen Sie sich doch zu uns! Robert, bring ein Gedeck für die Gräfin!»
    «Das ist nicht nötig, Robert, ich habe schon gespeist!», sagte die Gräfin Bahro mit einem Seitenblick auf die dünne Suppe. Dann wandte sie sich wieder dem alten Baron zu. «Ich hoffe, mein Besuch kommt nicht allzu ungelegen, werter Georg. Ich bin jedoch in einer Angelegenheit hier, die keinen Aufschub duldet. Deshalb war es mir auch nicht möglich, mein Kommen vorher anzukündigen.»
    Der Baron trat mühsam hinter dem Tisch hervor und schlurfte auf die Gräfin zu. Er reichte ihr gerade bis zur Schulter, und sein viel zu weiter Rock schlotterte um den mageren Körper.
    «Da bin ich aber gespannt», krächzte er, «was Sie nach so vielen Jahren veranlasst, sich unserer zu erinnern.»
    «Ich auch!», ertönte eine spöttische Stimme. Sie gehörte einem jungen Mann, der mit ausgestreckten Beinen auf seinem Stuhl lümmelte und der Gräfin einen herausfordernden Blick zuwarf. «Als wir uns vor fünf Jahren zum letzten Mal sahen, haben Sie, wenn ich mich recht entsinne, geschworen, nie wieder einen Fuß in dieses Haus zu setzen.»
    Die Gräfin Bahro musterte abfällig das hübsche, aber etwas welke Gesicht des jungen Mannes. «Nun, wenn ich Sie so anschaue, mein lieber Alexander, muss ich feststellen, dass sich hier nicht allzu viel verändert hat. Sie scheinen es jedenfalls immer noch nicht zu etwas gebracht zu haben.»
    «Und was kümmert Sie das ausgerechnet jetzt, nach so vielen Jahren?»
    «Was Sie tun, interessiert mich nicht im Geringsten! Wenn Sie Ihr Leben vergeuden wollen, dann ist das Ihre Sache. Meine arme Schwester, Gott hab sie selig, hat lange genug darunter gelitten, dass ihr Sohn nichts anderes kennt als Müßiggang, Trinkgelage und

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