Das Schwein unter den Fischen
NICHT BLOSS HÜBSCH
Es war am Morgen meines dreizehnten Geburtstags, als Ramona eine Tiefkühltorte föhnte und sich plötzlich auf den Boden warf: »Pass auf, Stine, ich zeig dir jetzt mal, wie das mit den Tampons geht. Mit Binden brauchst du gar nicht erst anfangen, da fühlt man sich, als hätte man ’ne Windel an! Also, du legst dich hin, wirfst die Beine übern Kopf, ganz weit nach hinten – ungefähr so! Die Füße müssen hinten aufkommen. Dann geht die Watte gerade und mit Schwerkraft rein. Du zählst bis zehn, bis es sitzt, und du kannst abrollen!«
Während sie so redete, lag sie mit den Füßen über Kopf auf dem Küchenboden. Anstelle eines Tampons hielt sie eine Kerze in der Hand. Am Ende scheiterte sie an einer Rolle rückwärts und verrenkte sich dabei einen Halswirbel so schlimm, dass mein Vater mit ihr in die Notaufnahme fahren musste. Ich blieb allein in der Küche sitzen, zündete meine dreizehn Geburtstagskerzen an und pustete alle mit einem Mal aus.
Ein Vierteljahr später bekam ich tatsächlich meine Tage. Ramona erzählte ich kein Wort davon. Es reichte mir, dass sie mich an einem Deodorant üben ließ, wie man ein Kondom abrollt.
Es war Reiner, mein Vater, der schließlich mit mir zum Frauenarzt ging. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er mich begleitete. Er hatte noch immer einen roten Kopf, als ich ihn nach der Untersuchung im Wartezimmer abholte.
Von Verhütung wusste er in meinem Alter so gut wie nichts. Auch über meine richtige Mutter wusste er nicht viel – außer dass sie Colombe hieß und aus Frankreich kam. Weil er ihren Vornamen nicht aussprechen konnte, nannte er sie Bombe, und ihren Nachnamen las er dann zum ersten Mal in meiner Geburtsurkunde. Sie arbeitete damals als Au-pair in Deutschland. Au-pair-Mädchen flachlegen war für Reiner und seine Kumpelsein richtiger Sport gewesen. Alle waren sie Hausmeistersöhne und lebten mit ihren Familien in den Souterrains der schönsten Jugendstilhäuser der Stadt. Colombe war die Erste, erzählte Reiner mir mal, die er nicht bloß hübsch fand, sondern sehr hübsch. Noch dazu, wie er stets betonte, sei sie besonders klug gewesen: »Für mich auf jeden Fall zu klug, ich hab bei einer Frau nie groß die Klappe gehalten, aber bei ihr hab ich irgendwann angefangen, mir die Worte im Kopf zurechtzulegen, bevor ich mich getraut hab, was zu sagen! Sie hat immer über meine Witze gelacht – nur war ich mir manchmal nicht ganz sicher, ob sie mehr über den Witz lacht oder über mich. Ich glaub, wenn ich nicht so gut ausgesehen hätte, würde es dich gar nicht geben, Stine. Mein gutes Aussehen, das konnte sie mir nämlich nicht abschwatzen. Irgendwann hab ich sie rumgekriegt und kurz darauf Schluss gemacht, bevor sie’s getan hätte. In dem Punkt zumindest war ich klüger als sie. Mit der Liebe ist das eben so. Erst spielt man verrückt, bis man schließlich vernünftig wird und sich in eine wie Ramona verliebt!«
Ich wusste nie, wann Reiner die Wahrheit sagte.
Wenn er von meiner Mutter sprach, räusperte er sich andauernd, und manchmal bekam er sogar feuchte Augen. Allerdings wurden seine Augen auch dann feucht, wenn er log, weil er sie dabei aufriss, um nicht blinzeln zu müssen. Wer lügt, hatte er einmal in einem Artikel über Körpersprache gelesen, würde unnatürlich oft blinzeln.
Manchmal befürchtete ich, er hätte mich wie ein ausgesetztes Kätzchen in einer Mülltonne gefunden. Als ich ihm davon erzählte, sagte er, ich solle keinen Unfug reden und niemals trauriger sein als nötig.
Wenn es darauf ankam, fing ich als Kind immer sofort an zu heulen, ohne langes Gewimmer. Es war das Einzige, mit dem ich Ramona und Reiner in ihrer seligen Gleichgültigkeit ein wenig Aufmerksamkeit abrang. Mein Vater gab lieber zu allem einen Spruch ab, bevor er eine Träne rollen ließ. Oder er räusperte sich unaufhörlich, kniff die Augen zusammen und verließ die Wohnung, fuhr stundenlang Autobahn, fuhr, als sein Vater starb, bis in die nächste große Stadt.
Ramona war zum Traurigsein immer zu besoffen. Mein Vater hatte sietrotzdem geheiratet – eine Frau, die, wenn ihr doch mal schlecht vom Saufen wurde, laut rückwärts zählte und dabei ihren Scheitel rieb.
Sie hatten sich kennengelernt, als ich vier Jahre alt war und wir noch bei meinen Großeltern lebten. Eines Morgens nach der Frühschicht in der Brötchenfabrik hielt mein Vater an der nächsten Tankstelle, um bei einem stark gezuckerten schwarzen Kaffee und ein paar Mentholzigaretten
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