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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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poetischen Gedanken, die ihr, dem jungen Mädchen, unfaßbar waren.
     
    Als Dolly sich nach dem Mittagessen in ihr Zimmer begeben hatte, stand Anna rasch auf und trat zu ihrem Bruder, der sich gerade eine Zigarre anzündete.
     
    »Stiwa«, sagte sie, indem sie ihm lustig zuzwinkerte, ihn bekreuzte und mit den Augen zur Tür wies, »geh, und Gott möge dir beistehen!«
     
    Er verstand sie, warf die Zigarre beiseite und verschwand hinter der Tür.
     
    Als Stepan Arkadjewitsch das Zimmer verlassen hatte, kehrte Anna zu dem Sofa zurück, auf dem sie gesessen hatte, von den Kindern umringt. Ob es nun daher kam, daß die Kinder sahen, wie sehr ihre Mama diese Tante liebte, oder daher, daß sie selbst an ihr ein besonderes Gefallen gefunden hatten: genug, die beiden älteren und, ihrem Beispiel folgend, auch die jüngeren hatten sich, wie man das bei Kindern nicht selten sieht, schon vor dem Mittagessen wie die Kletten an die neue Tante gehängt und waren keinen Augenblick von ihr gewichen. Ja, es hatte sich bei ihnen eine Art Spiel herausgebildet, das darin bestand, möglichst nahe neben der Tante zu sitzen, sie anzufassen, ihre kleine Hand zu halten und zu küssen oder wenigstens den Faltenbesatz ihres Kleides zu berühren.
     
    »Halt, halt! So, wie wir vorher gesessen haben!« sagte Anna Arkadjewna, indem sie sich wieder auf ihren Platz setzte.
     
    Grigori schob von neuem den Kopf unter ihren Arm, schmiegte sich mit dem Kopfe an ihr Kleid und strahlte vor Stolz und Glück.
     
    »Also jetzt sagen Sie mir, bitte, wann eigentlich der Ball sein wird«, wandte sich Anna an Kitty.
     
    »In der nächsten Woche. Und es wird ein sehr schöner Ball werden. Einer von den Bällen, auf denen man immer vergnügt ist.«
     
    »Gibt es denn solche, auf denen man immer vergnügt ist?« fragte Anna mit einem leisen, heiteren Lachen.
     
    »Ja, es ist merkwürdig, aber es gibt solche. Bei Bobrischtschews geht es immer lustig zu, auch bei Nikitins, aber bei Meschkows ist es immer langweilig. Ist Ihnen das nicht auch aufgefallen?«
     
    »Nein, mein Herz, für mich gibt es solche Bälle nicht mehr, auf denen es lustig ist«, erwiderte Anna, und Kitty erblickte in ihren Augen jene besondere Welt, die ihr verschlossen blieb. »Für mich gibt es nur solche, auf denen es weniger öde und langweilig ist als auf anderen.«
     
    »Wie können Sie sich denn auf einem Balle langweilen?«
     
    »Warum sollte gerade ich mich auf einem Balle nicht langweilen?« fragte Anna.
     
    Kitty merkte, daß Anna im voraus wußte, welche Antwort nun folgen werde.
     
    »Weil Sie immer die Schönste von allen sind.«
     
    Anna besaß die Eigenschaft, leicht zu erröten. Auch jetzt wurde sie rot und erwiderte:
     
    »Erstens ist das ganz und gar nicht der Fall, und zweitens, selbst wenn es der Fall wäre, was hätte ich davon?«
     
    »Werden Sie diesen Ball besuchen?« fragte Kitty.
     
    »Ich glaube, ich werde wohl nicht umhinkönnen. Da, nimm ihn«, sagte sie zu Tanja, die an einem Ringe zog, der sich leicht von Annas schlankem, an der Spitze dünner werdendem Finger streifen ließ.
     
    »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hinkämen. Ich möchte Sie so gern auf einem Balle sehen.«
     
    »Dann wird mir, wenn ich wirklich hin muß, wenigstens der Gedanke tröstlich sein, daß ich Ihnen damit ein Vergnügen mache. – Grigori, in meinem Haar darfst du aber nicht zausen; das ist auch so schon immer unordentlich genug«, sagte sie und brachte eine losgegangene Strähne in Ordnung, mit der Grigori gespielt hatte.
     
    »Ich stelle Sie mir auf dem Balle in Lila vor.«
     
    »Warum denn gerade in Lila?« fragte Anna lächelnd. »Aber nun, Kinder, müßt ihr gehen. Hört ihr wohl? Miß Hull ruft euch zum Teetrinken«, sagte sie, indem sie sich von den Kindern losmachte und sie in das Eßzimmer schob. »Ich weiß auch, warum Sie mich auf diesem Balle sehen möchten. Sie erwarten für sich etwas Wichtiges von diesem Balle, und da möchten Sie, daß alle dabei wären und Anteil daran nähmen.«
     
    »Woher wissen Sie das? – Nun ja!«
     
    »Oh, in was für einem schönen Alter stehen Sie!« fuhr Anna fort. »Ich kenne aus der Erinnerung diesen bläulichen Nebel, ähnlich wie der auf den Schweizer Bergen, diesen Nebel, der unseren Augen alles verhüllt in jener seligen Zeit, da die Kindheit eben zu Ende geht und dieser weite, glückliche, lustige Tummelplatz sich dem Dahinwandelnden immer mehr und mehr zu einem schmalen Pfade verengt; frohen Herzens begibt man

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