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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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gehen«, sagte sie. »Mein Wasili schläft leider gerade.«
     
    Nachdem sie die Kinder angesehen hatten, setzten sie sich, nun allein, im Wohnzimmer an den Kaffeetisch. Anna fingerte am Präsentierbrett umher und schob es dann von sich weg.
     
    »Dolly«, hob sie an, »er hat mit mir gesprochen.«
     
    Dolly wandte die Augen mit kaltem Blicke zu Anna hin. Sie erwartete jetzt erheuchelte Teilnahmsbezeigungen; aber Anna sagte nichts Derartiges.
     
    »Dolly, liebe Dolly«, fuhr sie fort, »ich will weder ihn zu verteidigen noch dich zu trösten suchen; das ist unmöglich. Ich will dir nur einfach sagen, daß du mir so leid tust, mein Herzchen, von ganzer Seele leid!«
     
    Unter den dichten Wimpern ihrer glänzenden Augen drängten sich Tränen hervor. Sie rückte näher an ihre Schwägerin heran und ergriff mit ihrer eigenen festen kleinen Hand die Dollys. Dolly rückte nicht von ihr weg; aber ihr Gesicht verlor seinen starren Ausdruck nicht. Sie erwiderte:
     
    »Mich zu trösten, ist unmöglich. Nach dem, was vorgefallen ist, ist alles verloren, alles zerstört!«
     
    Aber sobald sie das gesagt hatte, wurde der Ausdruck ihres Gesichtes plötzlich weicher. Anna hob die dürre, magere Hand Dollys in die Höhe, küßte sie und sagte:
     
    »Aber Dolly, was ist nun zu tun, was ist nun zu tun? Wie verhält man sich am besten in dieser schrecklichen Lage? Das ist's, was nun erwogen werden muß.«
     
    »Es ist alles zu Ende; weiter kann ich nichts sagen«, antwortete Dolly. »Und, weißt du, das allerschlimmste ist, daß ich ihn nicht verlassen kann, der Kinder wegen; ich bin gebunden. Aber mit ihm länger zusammenleben, das kann ich auch nicht; es ist mir eine Qual, ihn zu sehen.«
     
    »Dolly, liebe, gute Dolly, er hat es mir ja schon gesagt; aber ich möchte es doch auch von dir hören; bitte, sage mir alles!«
     
    Dolly blickte sie fragend an.
     
    Aufrichtige Teilnahme und herzliche Liebe waren auf Annas Gesicht zu lesen.
     
    »Nun gut!« sagte sie plötzlich. »Aber ich muß von vorn anfangen. Du weißt, wie ich heiratete. Bei der Art, in der mich maman erzogen hatte, war ich nicht nur unschuldig geblieben, sondern geradezu dumm. Ich wußte von nichts. Ich weiß, es heißt, daß die Männer ihren Frauen ihr Vorleben erzählen; aber Stiwa«, sie verbesserte sich, »Stepan Arkadjewitsch hat mir nichts gesagt. Du wirst es kaum glauben, aber ich hatte bis auf die neueste Zeit gemeint, ich wäre die einzige Frau, der er nähergetreten sei. So habe ich acht Jahre lang gelebt. Verstehe wohl: ich habe keine Untreue geargwöhnt, ja ich habe so etwas geradezu für unmöglich gehalten. Und nun stelle dir vor, wie einem zumute ist, wenn man in solchen Anschauungen dahinlebt und nun auf einmal solche entsetzliche, abscheuliche Dinge hören muß. Verstehe wohl: wenn man sich in festem Glauben für eine glückliche Frau hält und dann auf einmal ...« Dolly suchte ein Schluchzen zu unterdrücken, »... wenn man dann auf einmal einen Brief zu lesen bekommt – einen Brief von ihm an seine Geliebte, unsere frühere Erzieherin. Nein, das ist zu furchtbar!« Sie zog eilig das Taschentuch heraus und verbarg ihr Gesicht darin. »Ich könnte es noch begreifen, wenn er sich von einer augenblicklichen Leidenschaft hätte hinreißen lassen«, fuhr sie nach kurzem Stillschweigen fort, »aber mich mit Vorbedacht, in listiger Weise zu hintergehen – und mit wem! Daß er es fertigbringen konnte, mein Mann zu bleiben und gleichzeitig mit ihr ein Verhältnis zu haben, das ist furchtbar! Du kannst es nicht begreifen.«
     
    »Doch, ich begreife es! Ich begreife es, liebe Dolly, ich begreife es«, antwortete Anna und drückte ihr die Hand.
     
    »Und meinst du etwa, daß er für die ganze Furchtbarkeit meiner Lage Verständnis hat?« fuhr Dolly fort. »Nicht im entferntesten! Er ist glücklich und zufrieden.«
     
    »O nein!« unterbrach Anna sie rasch. »Er ist in einem bedauernswerten Zustande, ganz gebrochen von Reue ...«
     
    »Ist er denn überhaupt fähig zu bereuen?« unterbrach Dolly ihre Schwägerin und blickte ihr aufmerksam ins Gesicht.
     
    »Ja, ich kenne ihn. Ich habe ihn nicht ohne das tiefste Mitleid ansehen können. Wir kennen ihn ja alle beide. Er ist von guter Gemütsart; aber er hat auch seinen Stolz, und jetzt fühlt er sich tief gedemütigt. Was mich am meisten gerührt hat« (hier hatte Anna mit richtigem Empfinden herausgefühlt, welches Argument am ehesten Eindruck auf Dolly machen konnte), »zwei Dinge sind es, die

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