Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
nicht streiten; ich gebe keine Zeitungen heraus und fühle
    mich nicht berufen, sie zu verteidigen; aber ich rede von der Einmütigkeit der gesamten gebildeten Bevölkerung«,
    sagte Sergei Iwanowitsch, zu seinem Bruder gewendet. Ljewin wollte etwas entgegnen; aber der alte Fürst kam ihm
    zuvor.
    »Na, über diese Einmütigkeit ließe sich so manches sagen«, bemerkte er. »Sehen Sie, da habe ich einen
    Schwiegersohn, Stepan Arkadjewitsch; Sie kennen ihn ja. Der bekommt jetzt eine Stelle als Komiteemitglied der
    Kommission ... na, und so weiter, ich habe es nicht im Kopfe. Zu tun hat er dabei gar nichts (ach was, Dolly, es
    ist ja kein Geheimnis); aber das Gehalt beträgt achttausend Rubel. Nun machen Sie einmal den Versuch und fragen Sie
    ihn, ob sein Amt irgendwelchen Nutzen bringt; und er wird Ihnen beweisen, daß es im höchsten Grade notwendig ist.
    Und er ist ein wahrheitsliebender Mann; aber achttausend Rubel muß eben jeder Mensch für etwas Nützliches
    halten.«
    »Ja, er hat mich gebeten, Darja Alexandrowna mitzuteilen, daß er diese Stelle erhalten hat«, sagte Sergei
    Iwanowitsch mißvergnügt; denn er war der Ansicht, daß das, was der Fürst gesagt hatte, gar nicht herpaßte.
    »Dieselbe Sache ist es auch mit der Einmütigkeit der Zeitungen. Man hat mir das so auseinandergesetzt: wenn es
    Krieg gibt, steigen ihre Einnahmen auf das Doppelte. Wie sollten sie da nicht der Ansicht sein, daß die Sendung des
    russischen Volkes und der Slawen ... und in diesem Stile weiter.«
    »Auch mir sind nicht wenige Zeitungen unangenehm; aber diese Unterstellung ist doch ungerecht«, erwiderte Sergei
    Iwanowitsch.
    »Ich würde nur eine einzige Forderung stellen«, fuhr der Fürst fort. »Alphonse Karr hat sich darüber vor dem
    Kriege mit Preußen in einer seiner Veröffentlichungen ganz vortrefflich geäußert: ›Ihr seid der Ansicht, daß der
    Krieg notwendig ist? Schön. Diejenigen, die den Krieg predigen, sollen ein besonderes Bataillon des Vordertreffens
    bilden und beim Sturm, bei der Attacke allen voran sein.‹«
    »Die Zeitungsschreiber werden dabei einen schönen Anblick bieten!« meinte Katawasow laut lachend, da er sich die
    Schriftleiter seiner Bekanntschaft als Krieger in diesem auserlesenen Bataillon vorstellte.
    »Ach ja, sie werden davonlaufen«, sagte Dolly. »Sie werden nur hinderlich sein.«
    »Wenn sie zum Davonlaufen Neigung zeigen, dann soll man mit Kartätschen geladene Geschütze oder Kosaken mit
    Knuten hinter ihnen aufstellen«, sagte der Fürst.
    »Das ist ein Scherz, und kein guter Scherz; nehmen Sie es mir nicht übel, Fürst«, sagte Sergei Iwanowitsch.
    »Ich sehe nicht ein, weshalb es ein Scherz sein sollte, daß ...«, begann Ljewin; aber sein Bruder unterbrach
    ihn.
    »Jedes Mitglied der Gesellschaft hat den Beruf, die Tätigkeit auszuüben, die seinem ganzen Wesen entspricht«,
    sagte er. »Und die Männer der Feder erfüllen ihren Beruf dadurch, daß sie die Meinung des Volkes zum Ausdruck
    bringen. Daß die einmütige Meinung des Volkes vollständig zum Ausdruck gelangt, ist ein Verdienst der Presse und
    zugleich eine in hohem Grade erfreuliche Erscheinung. Vor zwanzig Jahren wären wir stumm geblieben; aber jetzt
    erschallt laut und vernehmlich die Stimme des russischen Volkes, das bereit ist, sich wie ein Mann zu erheben,
    bereit, sich für seine bedrängten Brüder zu opfern. Das ist ein großer Fortschritt und ein deutliches Zeichen
    unserer Kraft.«
    »Aber man opfert ja nicht nur etwas, sondern tötet auch die Türken«, antwortete Ljewin schüchtern. »Das Volk
    opfert, und opfert gern, um seine Seele zu retten, aber nicht damit gemordet werde«, fügte er hinzu, indem er
    unwillkürlich diesen Gesprächsstoff mit den Gedanken in Verbindung setzte, die ihn so lebhaft beschäftigten.
    »Was meinen Sie damit: um seine Seele zu retten? Seele, das ist ein Ausdruck, mit dem ein Naturforscher nichts
    Rechtes anzufangen weiß. Was ist denn eigentlich die Seele?« sagte Katawasow lächelnd.
    »Ach, das wissen Sie ja!«
    »Nein, wirklich, ich habe nicht den geringsten Begriff davon!« erwiderte Katawasow laut lachend.
    »›Ich habe nicht den Frieden gebracht, sondern das Schwert‹, sagt Christus«, entgegnete auch Sergei Iwanowitsch,
    indem er einfach, als wäre das die verständlichste Sache von der Welt, gerade die Stelle aus dem Evangelium
    anführte, mit der Ljewin immer am allerwenigsten hatte zurechtkommen können.
    »Ganz gewiß«, sagte der alte neben ihnen stehende

Weitere Kostenlose Bücher