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Henry dreht Auf

Henry dreht Auf

Titel: Henry dreht Auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Kapitel 1
    »Ich denk an euch, ihr himmlisch schönen Tage«, murmelte Wilt vor sich hin. Zugegeben, eine recht belanglose Bemerkung, aber wenn man im Ausschuß für Finanzen und Allgemeine Belange in der Berufsschule hockte, brauchte man dergleichen ab und zu als eine Art Ventil. Wie schon so oft in den vergangenen fünf Jahren war Dr. Mayfield aufgestanden, um dadurch seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen: »Wir müssen der Berufsschule für Geisteswissenschaften und Gewerbekunde von Fenland den ihr zustehenden Platz auf der Landkarte verschaffen«, verkündete er.
    »Ich dachte immer, den habe sie bereits«, meinte Dr. Board, der sich zwecks Erhaltung seiner geistigen Gesundheit wie üblich hinter der wörtlichen Bedeutung des Gesagten verschanzte. »Meines Wissens existiert sie dort sogar schon seit 1895, als ...«
    »Sie wissen ganz genau, was ich meine«, unterbrach ihn Dr. Mayfield. »Tatsache ist, daß es für die Berufsschule kein Zurück mehr gibt.«
    »Von wo?« fragte Dr. Board.
    Dr. Mayfield wandte sich hilfesuchend an den Direktor. »Worauf ich hinaus will ...«, setzte er an, aber Dr. Board war noch nicht fertig.
    »Offenbar sind wir entweder ein Flugzeug auf halbem Weg zu seinem Bestimmungsort oder ein kartographisches Phänomen. Vielleicht sogar beides.«
    Der Direktor seufzte tief und erwog, sich frühzeitig pensionieren zulassen. »Dr. Board«, sagte er, »wir sitzen hier, um angesichts der angestrengten Versuche seitens der örtlichen Schulverwaltung, unsere Anstalt zu einem Anhängsel der Behörde für Arbeitsvermittlung zu degradieren, Mittel und Wege zur Erhaltung unserer gegenwärtigen Kursusstruktur und des derzeitigen Lehrkörpers zu erörtern.« Dr. Board zog eine Augenbraue hoch. »In der Tat? Ich dachte, wir seien hier, um zu unterrichten. Natürlich kann ich mich da irren, aber als ich seinerzeit diesen Beruf ergriff, wurde mir dieser Eindruck vermittelt. Und jetzt muß ich erfahren, daß wir hier sind, um Kursusstrukturen, was immer das sein mag, und den Umfang des Lehrkörpers aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten, die Jobs für unsere Jungs.«
    »Und Mädchen«, fügte die Leiterin der Hauswirtschaft hinzu, die eigentlich gar nicht recht zugehört hatte. Dr. Board musterte sie eindringlich.
    »Und fraglos für ein oder zwei Wesen unbestimmbaren Geschlechts«, murmelte er. »Und falls Dr. Mayfield jetzt ...«
    »... fortfahren dürfte«, unterbrach ihn der Direktor, »könnten wir bis zur Mittagspause möglicherweise zu einer Entscheidung gelangen.«
    Während Dr. Mayfield wieder das Wort ergriff, blickte Wilt aus dem Fenster auf den neuen Elektronikkomplex und fragte sich wohl zum hundertsiebenunddreißigsten Male, wieso solche Ausschüsse gebildete und relativ intelligente Mitmenschen, die samt und sonders Universitätsabsolventen waren, zu verkniffenen, langweiligen und streitsüchtigen Leuten werden ließen, deren ausschließliches Ziel darin zu bestehen schien, sich selbst reden zu hören und allen anderen zu beweisen, daß sie unrecht hatten. Dieses Ausschuß-Unwesen nahm an der Berufsschule immer mehr Überhand. Früher war es ihm vergönnt gewesen, seine Vormittage und Nachmittage mit Unterrichten zu verbringen oder zumindest mit dem Versuch, bei den Drehern und Schlossern oder auch den Fleischern und Druckern in seinen Kursen eine gewisse intellektuelle Neugier zu entfachen; und wenn sie auch nicht viel von ihm lernten, so konnte er doch abends in dem sicheren Bewußtsein nach Hause gehen, daß zumindest er etwas von ihnen profitiert hatte.
    Jetzt war alles ganz anders. Sogar seinen Zuständigkeitsbereich – er war Leiter der Allgemeinbildung – hatten sie umbenannt in Kommunikative Techniken und Progrediente Ausdrucksstrategien. Seitdem vergeudete er seine Zeit in Ausschüssen oder mit der Abfassung von Memoranden und sogenannten konsultativen Schriftstücken oder der Lektüre ebenso unsinniger Elaborate aus anderen Abteilungen. Seinen Kollegen erging es auch nicht besser.
    Der Kopf der Anstalt, dessen Lese- und Schreibkundigkeit von jeher zu Zweifeln Anlaß gab, hatte die Auflage bekommen, Kurse in Mauern und Verputzen in einem fünfundvierzigseitigen Diskussionspapier über »Modulare Bauweise und innerräumliche Oberflächenbehandlung« zu rechtfertigen. Das Ergebnis war ein grammatikalisch hanebüchenes Werk von einer derart monumentalen Inhaltslosigkeit, daß Dr. Board den Vorschlag machte, es bei der Vergabestelle für Forschungsaufträge einzureichen – mit der

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