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Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht

Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht

Titel: Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
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Arbeitslager gesteckt wird, ist abscheulich. Als ich reihum in die Gesichter blicke, wird mir klar, dass ich hier die Einzige bin, die noch lebende Angehörige hat. Die Einzige mit starken Verbindungen zur menschlichen Gesellschaft.
    Zum ersten Mal dämmert mir etwas. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass gerade ich auf diesem Stuhl sitze. Ich ordne meine Gedanken, denn jetzt weiß ich, wie ich seinen Argumenten begegnen muss.
    Ich stimme dir darin zu, dass wir die Erde bewahren müssen. Wir werden noch hier sein, wenn die jetzigen Generationen der Menschen zu Staub geworden sind. Aber wir müssen dies als Beschützer der Menschheit tun, nicht als ihre Aufseher. Wir integrieren uns recht gut in ihre Gesellschaft. Diesen Weg müssen wir fortsetzen. Mit den Sterblichen zusammenarbeiten. Vielleicht kommt einmal der Tag, da wir unsere wahre Natur nicht länger verbergen müssen. Aber dieser Tag ist nicht heute.
    Chael bleckt die Zähne und droht mir mit der geballten Faust. Du hältst mich für arrogant. Und ich sage, du bist es, die arrogant ist. Eine neue Vampirin, die kaum dreißig Jahre als Sterbliche gelebt hat. Du weißt nichts darüber, was sich in der Vergangenheit ereignet hat. Du bist nicht würdig, den hier Versammelten zu sagen, was unseren Interessen am besten dient. Wir könnten dich auf der Stelle niederstrecken und die Frage ein für alle Mal entscheiden.
    Ein Raunen erhebt sich um den großen Tisch. Sogar diejenigen, die nach dem Kampf nur widerstrebend meine Position anerkannt haben, weichen auf ihren Stühlen zurück, als wollten sie sich von Chael distanzieren. Er sieht es auch. Die Tradition der Auserwählten ist unantastbar, und er hat eine gefährliche Grenze überschritten.
    Turnbull erhebt sich. Du vergisst dich, Chael.
    Ich schicke Turnbull mit einer Geste zurück auf seinen Platz. Ich werde Chael antworten. Es ist richtig, dass ich mich nicht auf die Weisheit vieler Jahrhunderte stützen kann. Aber deine Worte machen mir einen möglichen Grund dafür begreiflich, dass gerade ich dazu auserwählt worden bin, diesen Platz einzunehmen. Ich habe die Dringlichkeit eines begrenzten menschlichen Lebens nicht vergessen. Ich spüre bei den Sterblichen noch den Drang, Weisheit zu erlangen und Gutes zu tun. Ich schaue mich um und sehe, was die Menschheit erreicht hat. Die Menschen haben die Städte gebaut, die wir Vampire nur bewohnen. Sie haben technische Wunderwerke geschaffen, das Atom gespalten und den Himmel erkundet. Und doch zollst du ihnen keinerlei Anerkennung. Was haben die Vampire geschaffen? Unser unbegrenztes Leben hat uns anscheinend oberflächlich und hedonistisch gemacht. Uns fehlt die Weisheit der Sterblichen, weil wir nicht den Drang nach Schöpfung und Innovation verspüren, der ihrer »erbärmlichen Lebensspanne« wegen in ihnen brennt. Die Sterblichen brauchen uns nicht. Wir brauchen sie. Du vergisst, dass wir die Parasiten sind. Wenn wir sie einpferchen wie Vieh, würden wir ihren Geist und ihren Willen brechen. Dann wäre die Welt trübselig und grau, und wir hätten selbst darunter zu leiden. Du hast uns gezeigt, dass du trotz deines Alters keine Weisheit erworben hast. Alles, was du gesagt hast, überzeugt mich davon, dass eine unbegrenzte Lebensspanne dich nur überheblich und herablassend gegenüber jenen gemacht hat, die du als minderwertig betrachtest. Du wärst kein guter Herrscher, Chael. Und das ist Grund genug für mich, deinen Antrag abzulehnen.
    Einen Moment lang ist die Stille im Raum fast greifbar. Man kann sie schmecken und spüren, sie kratzt im Hals wie der stinkende Qualm einer billigen Zigarre. Alle Blicke sind auf Chael gerichtet. Er gleicht einer Gewitterwolke, die ihren Zorn jeden Augenblick mit tosendem Donner entladen wird. Er sieht mich an. Sein Blick fesselt mich, bohrt sich in meinen Kopf und versucht, meine Barrieren zu durchdringen. Ein Spielchen, um sein Gesicht zu wahren. Er will mir Schmerz zufügen, mich leiden lassen, mich zu dem Eingeständnis zwingen, dass ich zwar die Auserwählte sein mag, er aber dennoch stärker ist als ich.
    Ich habe seinesgleichen schon früher die Stirn geboten. Ich habe gelernt, mich gegen geistige Angriffe ebenso zu wehren wie gegen körperliche Attacken. Avery, Williams, Underwood. Die Hexe Belinda Burke. Ich habe schmerzliche Lektionen gelernt, von den Besten.
    Ich stehe auf, so dass wir einander gerade in die Augen sehen. Dann schleudere ich seine eigene Kraft auf ihn zurück. Er reagiert erst überrascht, dann

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