Ansichten eines Clowns
gut«, sagte er schließlich, mit hörbarer Überwindung, »du weißt also nicht?«
»Was weiß ich nicht«, rief ich, »mein Gott, Leo, sprich doch deutlich.«
»Heinrich ist nicht mehr Priester«, sagte er leise.
»Ich denke, das bleibt man, solange man atmet.«
»Natürlich«, sagte er, »ich meine, er ist nicht mehr im Amt. Er ist weggegangen, seit Monaten spurlos verschwunden.«
Er quetschte das alles mühsam aus sich heraus. »Na«, sagte ich, »er wird schon wieder auftauchen«, dann fiel mir etwas ein, und ich fragte: »Ist er allein?«
»Nein«, sagte Leo streng, »mit einem Mädchen weg.« Es klang, als hätte er
gesagt: »Er hat die Pest auf dem Hals.«
Mir tat das Mädchen leid. Sie war sicherlich katholisch, und es mußte peinlich für sie sein, mit einem ehemaligen Priester jetzt irgendwo in einer Bude zu hocken und die Details des »fleischlichen Verlangens« zu erdulden, herumliegende Wäsche,
Unterhosen, Hosenträger, Unterteller mit Zigarettenresten, durchgerissene Kinobillets und beginnende Geldknappheit, und wenn das Mädchen die Treppe hinunterging, um Brot, Zigaretten oder eine Flasche Wein zu holen, machte eine keifende Wirtin die Tür auf, und sie konnte nicht einmal rufen: »Mein Mann ist ein Künstler, ja, ein
Künstler.« Mir taten sie beide leid, das Mädchen mehr als Heinrich. Die kirchlichen Behörden waren in einem solchen Fall, wenn es um einen nicht nur unansehnlichen, sogar schwierigen Kaplan ging, sicher streng. Bei einem Typ wie Sommerwild
würden sie wahrscheinlich sämtliche Augen zudrücken. Er hatte ja auch keine
Haushälterin mit gelblicher Haut an den Beinen, sondern eine hübsche, blühende Person, die er Maddalena nannte, eine ausgezeichnete Köchin, immer gepflegt und heiter.
»Na gut«, sagte ich, »dann fällt er vorläufig für mich aus.«
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»Mein Gott«, sagte Leo, »du hast aber eine kaltschnäuzige Art, das hinzunehmen.«
»Ich bin weder Heinrichs Bischof noch ernsthaft an der Sache interessiert«, sagte ich, »nur die Details machen mir Kummer. Hast du denn wenigstens Edgars Adresse oder Telefonnummer ?«
»Du meinst Wieneken?«
»Ja«, sagte ich. »Du erinnerst dich doch noch an Edgar? In Köln habt ihr euch doch bei uns getroffen, und zu Hause spielten wir doch immer bei Wienekens und aßen Kartoffelsalat.«
»Ja, natürlich«, sagte er, »natürlich erinnere ich mich, aber Wieneken ist gar nicht im Lande, soviel ich weiß. Jemand hat mir erzählt, daß er eine Studienreise macht, mit irgendeiner Kommission, Indien oder Thailand, ich weiß nicht genau.«
»Bist du sicher?« fragte ich.
»Ziemlich«, sagte er, »ja, jetzt erinnere ich mich, Heribert hats mir erzählt.«
»Wer?« schrie ich, »wer hats dir erzählt?«
Er schwieg, ich hörte ihn nicht einmal mehr seufzen, und ich wußte jetzt, warum er nicht zu mir kommen wollte. »Wer?« schrie ich noch einmal, aber er gab keine
Antwort. Er hatte sich auch schon dieses Beichtstuhlhüsteln angewöhnt, das ich manchmal gehört hatte, wenn ich in der Kirche auf Marie wartete. »Es ist besser«, sagte ich leise, »wenn du auch morgen nicht kommst. Es wäre schade um deine
versäumte Vorlesung. Sag mir nur noch, daß du auch Marie gesehen hast.«
Offenbar hatte er wirklich nichts als Seufzen und Hüsteln gelernt. Jetzt seufzte er wieder, tief, unglücklich, lange. »Du brauchst mir nicht zu antworten«, sagte ich,
»grüß mir nur den netten Kerl, mit dem ich heute zweimal bei euch telefoniert habe.«
»Strüder?« fragte er leise.
»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er klang so nett am Telefon.«
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»Aber den nimmt doch keiner ernst«, sagte er, »der ist doch - ist doch sozusagen auf Gnadenbrot gesetzt.« Leo brachte es tatsächlich fertig, eine Art Lachen
zustandezubringen, »er schleicht sich nur manchmal ans Telefon und redet Unsinn.«
Ich stand auf, blickte durch einen Spalt im Vorhang auf die Uhr unten auf dem Platz.
Es war drei Minuten vor neun.
»Du mußt jetzt gehen«, sagte ich, »sonst bekommst dus doch in die Papiere. Und versäum mir morgen deine Vorlesung nicht.«
»Aber versteh mich doch«, flehte er.
»Verflucht«, sagte ich, »ich versteh dich ja. Nur zu gut.«
»Was bist du eigentlich für ein Mensch?« fragte er. »Ich bin ein Clown«, sagte ich, »und sammle Augenblicke. Tschüs.« Ich legte auf.
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Ich hatte vergessen, ihn nach seinen Erlebnissen beim Militär zu fragen, aber vielleicht würde sich irgendwann die Gelegenheit dazu ergeben. Sicher
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