Ansichten eines Clowns
sorgt
mein Agent, der meine Eigenheiten kennt, für eine gewisse Reibungslosigkeit. Was er
»die Sensibilität der Künstlerseele« nennt, wird voll respektiert, und eine »Aura des Wohlbefindens« umgibt mich, sobald ich auf meinem Zimmer bin: Blumen in einer
hübschen Vase, kaum habe ich den Mantel abgeworfen, die Schuhe (ich hasse
Schuhe) in die Ecke geknallt, bringt mir ein hübsches Zimmermädchen Kaffee und Kognak, läßt mir ein Bad einlaufen, das mit grünen Ingredienzien wohlriechend und beruhigend gemacht wird. In der Badewanne lese ich Zeitungen, lauter unseriöse, bis zu sechs, mindestens aber drei, und singe mit mäßig lauter Stimme ausschließlich Liturgisches: Choräle, Hymnen, Sequenzen, die mir noch aus der Schulzeit in
Erinnerung sind. Meine Eltern, strenggläubige Protestanten, huldigten der
Nachkriegsmode konfessioneller Versöhnlichkeit und schickten mich auf eine
katholische Schule. Ich selbst bin nicht religiös, nicht einmal kirchlich, und bediene mich der liturgischen Texte und Melodien aus therapeutischen Gründen: sie helfen mir am besten über die beiden Leiden hinweg, mit denen ich von Natur belastet bin: Melancholie und Kopfschmerz. Seitdem Marie zu den Katholiken übergelaufen ist
(obwohl Marie selbst katholisch ist, erscheint mir diese Bezeichnung angebracht), steigert sich die Heftigkeit dieser beiden Leiden, und selbst das Tantum Ergo oder die Lauretanische Litanei, bisher meine Favoriten in der Schmerzbekämpfung, helfen kaum noch. Es gibt ein vorübergehend wirksames Mittel:
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Alkohol -, es gäbe eine dauerhafte Heilung: Marie; Marie hat mich verlassen. Ein Clown, der ans Saufen kommt, steigt rascher ab, als ein betrunkener Dachdecker stürzt.
Wenn ich betrunken bin, führe ich bei meinen Auftritten Bewegungen, die nur
durch Genauigkeit gerechtfertigt sind, ungenau aus und verfalle in den peinlichsten Fehler, der einem Clown unterlaufen kann: ich lache über meine eigenen Einfälle.
Eine fürchterliche Erniedrigung. Solange ich nüchtern bin, steigert sich die Angst vor dem Auftritt bis zu dem Augenblick, wo ich die Bühne betrete (meistens mußte ich auf die Bühne gestoßen werden), und was manche Kritiker »diese nachdenkliche,
kritische Heiterkeit« nannten, »hinter der man das Herz schlagen hört«, war nichts anderes als eine verzweifelte Kälte, mit der ich mich zur Marionette machte; schlimm übrigens, wenn der Faden riß und ich auf mich selbst zurückfiel. Wahrscheinlich existieren Mönche im Zustand der Kontemplation ähnlich; Marie schleppte immer
viel mystische Literatur mit sich herum, und ich erinnere mich, daß die Worte »leer«
und »nichts« häufig darin vorkamen.
Seit drei Wochen war ich meistens betrunken und mit trügerischer Zuversicht auf die Bühne gegangen, und die Folgen zeigten sich rascher als bei einem säumigen Schüler, der sich bis zum Zeugnisempfang noch Illusionen machen kann; ein halbes Jahr ist eine lange Zeit zum Träumen. Ich hatte schon nach drei Wochen keine
Blumen mehr auf dem Zimmer, in der Mitte des zweiten Monats schon kein Zimmer
mit Bad mehr, und Anfang des dritten Monats betrug die Entfernung vom Bahnhof
schon sieben Mark, während die Gage auf ein Drittel geschmolzen war. Kein
Kognak mehr, sondern Korn, keine Varietes mehr: merkwürdige Vereine, die in
dunklen Sälen tagten, wo ich auf einer Bühne mit miserabler Beleuchtung auftrat, wo ich nicht einmal mehr ungenaue Bewegungen, sondern bloß noch Faxen machte,
über die sich Dienstjubilare von Bahn, Post, Zoll, katholische Hausfrauen oder evangelische Krankenschwestern amüsierten,
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biertrinkende Bundeswehroffiziere, deren Lehrgangsabschluß ich verschönte, nicht recht wußten, ob sie lachen durften oder nicht, wenn ich die Reste meiner Nummer Verteidigungsrat vorführte, und gestern, in Bochum, vor Jugendlichen, rutschte ich mitten in einer Chaplin-Imitation aus und kam nicht wieder auf die Beine. Es gab nicht einmal Pfiffe, nur ein mitleidiges Geraune, und ich humpelte, als endlich der Vorhang über mich fiel, rasch weg, raffte meine Klamotten zusammen und fuhr, ohne mich abzuschminken, in meine Pension, wo es eine fürchterliche Keiferei gab, weil meine Wirtin sich weigerte, mir mit Geld für das Taxi auszuhelfen. Ich konnte den knurrigen Taxifahrer nur beruhigen, indem ich ihm meinen elektrischen
Rasierapparat nicht als Pfand, sondern als Bezahlung übergab. Er war noch nett genug, mir eine angebrochene Packung Zigaretten und zwei Mark
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