Ansichten eines Clowns
drei
Wochen gut, Schnier, da können Sie bei Feuerwehrjubiläen ein bißchen Unsinn
machen und mit dem Hut rumgehen. Sobald ichs erfahre, schnüre ich Ihnen das alles ab.«
»Sie Hund«, sagte ich.
»Ja«, sagte er, »ich bin der beste Hund, den Sie finden können, und wenn Sie
anfangen, auf eigne Faust tingeln zu gehen, sind Sie in spätestens zwei Monaten vollkommen erledigt. Ich kenn das Geschäft. Hören Sie?«
Ich schwieg. »Ob Sie hören?« fragte er leise.
»Ja«, sagte ich.
»Ich habe Sie gern, Schnier«, sagte er, »ich habe gut mit Ihnen gearbeitet - sonst würde ich nicht ein so kostspieliges Telefongespräch mit Ihnen führen.«
»Es ist sieben vorbei«, sagte ich, »und der Spaß kostet Sie schätzungsweise zwei Mark fünfzig.«
»Ja«, sagte er, »vielleicht drei Mark, aber im Augenblick würde kein Agent so viel an Sie legen. Also: in einem Vierteljahr und mit mindestens sechs tadellosen
Nummern.
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Quetschen Sie aus Ihrem Alten soviel raus, wie Sie können. Tschüs.«
Er hing tatsächlich ein. Ich hielt den Hörer noch in der Hand, hörte das Tuten, wartete, legte nach langem Zögern erst auf. Er hatte mich schon ein paar Mal
beschwindelt, aber nie belogen. Zu einer Zeit, wo ich wahrscheinlich zweihun-
dertfünfzig Mark pro Abend wert gewesen wäre, hatte er mir
Hundertachtzigmarkverträge besorgt - und wahrscheinlich ganz nett an mir verdient.
Erst als ich aufgelegt hatte, wurde mir klar, daß er der erste war, mit dem ich gern noch länger telefoniert hätte. Er sollte mir irgendeine andere Chance geben - als ein halbes Jahr warten. Vielleicht gab es eine Artistengruppe, die jemand wie mich brauchte, ich war nicht schwer, schwindelfrei und konnte nach einigem Training ganz gut ein bißchen Akrobatik mitmachen, oder mit einem anderen Clown
zusammen Sketche einstudieren. Marie hatte immer gesagt, ich brauche ein
»Gegenüber«, dann würden mir die Nummern nicht so langweilig. Zohnerer hatte
bestimmt noch nicht alle Möglichkeiten bedacht. Ich beschloß, ihn später anzurufen, ging ins Badezimmer zurück, warf den Bademantel ab, die übrigen Kleider in die Ecke und stieg in die Wanne. Ein warmes Bad ist fast so schön wie Schlaf. Unterwegs hatte ich immer, auch als wir noch wenig Geld hatten, Zimmer mit Bad genommen.
Marie hatte immer gesagt, für diese Verschwendung sei meine Herkunft ver-
antwortlich, aber das stimmt nicht. Zu Hause waren sie mit warmem Badewasser so geizig gewesen wie mit allem anderen. Kalt duschen, das durften wir jederzeit, aber ein warmes Bad galt auch zu Hause als Verschwendung, und nicht einmal Anna, die sonst ein paar Augen zudrückte, war in diesem Punkt umzustimmen gewesen. In
ihrem I. R. 9 hatte offenbar ein warmes Wannenbad als eine Art Todsünde gegolten.
Auch in der Badewanne fehlte mir Marie. Sie hatte mir manchmal vorgelesen,
wenn ich in der Wanne lag, vom Bett aus, einmal aus dem Alten Testament die ganze Geschichte von Salomon und der Königin von Saba, ein anderes Mal den
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Kampf der Machabäer, und hin und wieder aus ›Schau heimwärts, Engel ‹ von Thomas Wolfe. Jetzt lag ich vollkommen verlassen in dieser dummen, rostroten Badewanne, das Badezimmer war schwarzgekachelt, aber Wanne, Seifenschale, Duschengriff und
Klobrille waren rostfarben. Mir fehlte Maries Stimme. Wenn ich es mir überlegte, konnte sie nicht einmal mit Züpfner in der Bibel lesen, ohne sich wie eine Verräterin oder Hure vorzukommen. Sie würde an das Hotel in Düsseldorf denken müssen, wo
sie mir von Salomon und der Königin von Saba vorgelesen hatte, bis ich in der Wanne vor Erschöpfung einschlief. Die grünen Teppiche in dem Hotelzimmer, Maries
dunkles Haar, ihre Stimme, dann brachte sie mir eine brennende Zigarette, und ich küßte sie.
Ich lag bis obenhin im Schaum und dachte an sie. Sie konnte gar nichts mit ihm oder bei ihm tun, ohne an mich zu denken. Sie konnte nicht einmal in seiner Gegenwart den Deckel auf die Zahnpastatube schrauben. Wie oft hatten wir miteinander gefrühstückt, elend und üppig, hastig und ausgiebig, sehr früh am Morgen, spät am Vormittag, mit sehr viel Marmelade und ohne. Die Vorstellung, daß sie mit Züpfner jeden Morgen um dieselbe Zeit frühstücken würde, bevor er in seinen Wagen stieg und in sein
katholisches Büro fuhr, machte mich fast fromm. Ich betete darum, daß es nie sein würde: Frühstück mit Züpfner. Ich versuchte mir Züpfner vorzustellen : braunhaarig, hellhäutig, gerade gewachsen, eine Art
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