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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Alkibiades des deutschen Katholizismus, nur nicht so leichtfertig. Er stand nach Kinkels Aussage »zwar in der Mitte, aber doch mehr nach rechts als nach links.« Dieses Links-und-rechts-stehen war eines ihrer Hauptgesprächsthemen. Wenn ich ehrlich war, mußte ich Züpfner zu den vier Katholiken, die mir als solche erschienen, hinzuzählen: Papst Johannes, Alec Guinness, Marie, Gregory - und Züpfner. Gewiß hatte auch bei ihm bei aller möglichen
    Verliebtheit die Tatsache eine Rolle gespielt, daß er Marie aus einer sündigen in eine sündenlose Situation rettete. Das Händchenhalten mit Marie war offenbar nichts Ernsthaftes gewesen. Ich hatte mit
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    Marie später darüber geredet, sie war rot geworden, aber auf eine nette Art, und hatte mir gesagt, es »wäre viel zusammengekommen« bei dieser Freundschaft: daß ihre
    Väter beide von den Nazis verfolgt gewesen wären, auch der Katholizismus, und
    »seine Art, weißt du. Ich hab ihn immer noch gern.« Ich ließ einen Teil des lau gewordenen Badewassers ablaufen, heißes zulaufen und schüttete noch etwas von dem Badezeug ins Wasser. Ich dachte an meinen Vater, der auch an dieser Badezeugfabrik beteiligt ist. Ob ich mir Zigaretten kaufe, Seife, Schreibpapier, Eis am Stiel oder Würstchen: mein Vater ist daran beteiligt. Ich vermute, daß er sogar an den zwei-einhalb Zentimetern Zahnpasta, die ich gelegentlich verbrauche, beteiligt ist. Über Geld durfte aber bei uns zu Hause nicht gesprochen werden. Wenn Anna mit meiner Mutter abrechnen, ihr die Bücher zeigen wollte, sagte meine Mutter immer: »Über Geld sprechen - wie gräßlich.« Ein Ä fällt bei ihr hin und wieder, sie spricht es ganz nah an E aus. Wir bekamen nur sehr wenig Taschengeld. Zum Glück hatten wir eine große Verwandtschaft, wenn sie alle zusammengetrommelt wurden, kamen fünfzig
    bis sechzig Onkels und Tanten zusammen, und einige davon waren so nett, uns hin und wieder etwas Geld zuzustecken, weil die Sparsamkeit meiner Mutter
    sprichwörtlich war. Zu allem Überfluß ist die Mutter meiner Mutter adelig gewesen, eine von Hohenbrode, und mein Vater kommt sich heute noch wie ein gnädig
    aufgenommener Schwiegersohn vor, obwohl sein Schwiegervater Tuhler hieß, nur
    seine Schwiegermutter eine geborene von Hohenbrode war. Die Deutschen sind ja
    heute adelsüchtiger und adelsgläubiger als 1910. Sogar Menschen, die für intelligent gehalten werden, reißen sich um Adelsbekanntschaften. Ich müßte auch auf diese Tatsache einmal Mutters Zentralkomitee aufmerksam machen. Es ist eine
    Rassenfrage. Selbst ein so vernünftiger Mann wie mein Großvater kann es nicht
    verwinden, daß die Schniers im Sommer 1918 schon geadelt werden sollten, daß es
    »sozusagen« schon aktenkundig war, aber dann türmte im entscheidenden
    Augenblick

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    der Kaiser, der das Dekret hätte unterschreiben müssen - er hatte wohl andere Sorgen
    - wenn er überhaupt je Sorgen gehabt hat. Diese Geschichte von dem »Fast-Adel« der Schniers wird noch heute nach fast einem halben Jahrhundert bei jeder Gelegenheit erzählt. »Man hat das Dekret in Seiner Majestät Schreibmappe gefunden«, sagt mein Vater immer. Ich wundere mich, daß keiner nach Doorn gefahren ist und das Ding noch hat unterschreiben lassen. Ich hätte einen reitenden Boten dorthin geschickt, dann wäre die Angelegenheit wenigstens in einem ihr angemessenen Stil erledigt worden.
    Ich dachte, wie Marie, wenn ich schon in der Badewanne lag, die Koffer auspackte.
    Wie sie vor dem Spiegel stand, die Handschuhe auszog, die Haare glatt strich; wie sie die Bügel aus dem Schrank nahm, die Kleider darüber hängte, die Bügel wieder in den Schrank; sie knirschten auf der Messingstange. Dann die Schuhe, das leise Geräusch der Absätze, das Scharren der Sohlen, und wie sie ihre Tuben, Fläschchen und Tiegel auf die Glasplatte am Toilettentisch stellte; den großen Cremetiegel, oder die schmale Nagellackflasche, die Puderdose und den harten metallischen Laut des aufrecht
    hingestellten Lippenstifts.
    Ich merkte plötzlich, daß ich angefangen hatte, in der Badewanne zu weinen, und ich machte eine überraschende physikalische Entdeckung: meine Tränen kamen mir kalt vor. Sonst waren sie mir immer heiß vorgekommen, und ich hatte in den
    vergangenen Monaten einige Male heiße Tränen geweint, wenn ich betrunken war. Ich dachte auch an Henriette, meinen Vater, an den konvertierten Leo und wunderte
    mich, daß er sich noch nicht gemeldet hatte.
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    In Osnabrück hatte

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