Ansichten eines Klaus - Roman
seit damals, der Ansatz hat sich sichtbar nach hinten verschoben. Seine Haut sieht auch nicht mehr so gut aus, irgendwie fleckig, nichts, was nicht ein bisschen Make-up beheben kann, beim nächsten Fernsehauftritt. Und er trägt auch nicht mehr diese albernen Polo-Shirts, sondern richtige Hemden. Direkt sportlich war er sowieso nie. Aber richtig verändert hat er sich nicht seit damals. Nicht so, dass man ihn auf der Straße nicht wiedererkennen würde. Ich weiß nicht, ob Alexander mich vorhin auf dem Balkon erkannt hat. Falls doch, hat er sich ein »Nein, du hier, Mensch, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen« gekonnt verkniffen. Nein, ich glaube nicht, dass er mich erkannt hat. Ich bin nur ein Gast, wahrscheinlich der Freund eines Freundes,ein Bekannter von einem Kollegen, jemand halt. Stimmt ja auch. Ich bin jemand. Ich bin der neue Freund einer Freundin seiner Freundin Ilka. Und die Frau, mit der er gerade so angeregt spricht, ist nicht Ilka. Ilka hat rote Haare. Das hat mir Petra in dem halben Jahr, das wir jetzt zusammen sind, so oft erzählt, dass ich es mir sogar gemerkt habe. Sie scheint ein bisschen neidisch auf Ilkas echtes Rot. Und die Frau am Schrank ist nicht rothaarig. Das würde man ja schon am Teint sehen. Außerdem soll man als Gastgeberpärchen nicht stundenlang angeregt miteinander reden, sondern sich um die Gäste kümmern. Er spricht, sie lächelt. Jetzt lässt sie den Arm sinken, hält die Bierflasche in beiden Händen.
Petra kämpft sich durch die Menschen zu mir durch. Als sie bei mir ist, küsse ich sie oder sie mich, als hätten wir uns vor Wochen zum letzten Mal gesehen.
»Na, wie war’s?«, frage ich.
»Voll«, sagt sie. »Also im Flur. Und hier?«
»Ausgelassene Stimmung. Eben hat ein Mann auf dem Tisch gestrippt und einer ist vom Balkon gefallen, hast du alles verpasst.«
»Na, das musst du mir nachher zu Hause noch mal genauer zeigen«, sagt sie.
»Vom Balkon fallen?«
»Strippen.«
»Mal sehn.«
»Holste mir auch so eins?«, fragt sie und zeigt auf mein Bier.
»Alles, was du willst, mein Schatz«, sage ich und presse den Handrücken gegen meine Stirn. »Aber du musst versprechen, dass du auf mich wartest.«
»Natürlich, Liebster«, haucht sie und drückt ihre Hand auf die Brust. »Ich verspreche es.«
»Na, dann werd ich mal.« Ich bahne mir einen Weg zum Balkon. Ich kenne Geschichten, da kam der Mann vom Bierholen zurück und die Frau war verheiratet und hatte Kinder. Aber so lange sind wir ja noch nicht zusammen. Unsere Liebe ist jung. Sie wird halten. Petra ist verknallt – und durstig.
Draußen auf dem Balkon ist das gestreifte Hemd unterdessen verschwunden, vielleicht wirklich vom Balkon gefallen. Stattdessen fragt mich ein Pulloverträger in Beige, ob ich der Gastgeber sei. Sehe ich aus wie ein Pressesprecher? Ich verneine und deute durchs Fenster auf Alexander.
»Der da mit meiner Freundin flirtet?«, fragt er.
»Wenn das da am Schrank deine Freundin ist, die mit dem Pferdeschwanz, dann ja. Aber ich glaube nicht, dass er flirtet. Er ist ja verlobt.«
Der Pullover starrt mich an, erst etwas ungläubig, dann, als würde er mir am liebsten sofort in die Nase beißen. Und nicht aus erotischen Gründen.
»Der Herr Gastgeber«, er zeigt Richtung Alexander, »flirtet den ganzen Abend schon mit allem,was ihm vors Gesicht kommt und Brüste hat. Ich hab ihn schon vorhin in der Küche beobachtet.«
»Aber wie gesagt, er ist der Gastgeber«, sage ich. »Da muss er nett sein zu seinen Gästen.«
»Jaja, nett«, der Pulloverträger deutet einen Vogel an. »Wir können uns ja nachher noch mal unterhalten, wenn er zu deiner Freundin nett war.« Er schiebt die Balkontür auf, geht rein, bahnt seinen Weg energisch zu Rotsöckchen und Alexander, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und fängt an, possessiv ihren Oberarm zu streicheln. Ich geh auch wieder rein und bringe meiner durstigen Freundin ihr Bier, die mich fragt, wieso das so lange gedauert hat, und ob ich unterwegs eine andere Frau kennengelernt habe. Sie hätte Geschichten gehört, da wollte der Mann nur mal Bier holen gehen und kam Jahre später mit einer eigenen Familie wieder, Schwiegermutter inklusive.
»Ja, wir haben ein bisschen geflirtet und wollten schon heimlich durchbrennen, aber da kam ihr Mann.« Insgeheim frage ich mich, wieso Petra plötzlich so zickig ist und ob Eifersucht ansteckt. Der Pullovermann hat seine Freundin jedenfalls aus den lüsternen Klauen des Gastgebers befreien können und flößt
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