Anthologie - Das Lustbett
Trotz allem begann der reguläre Unterricht ja erst wieder am folgenden Tag.
Sven-Erik ergriff seine Reisetasche, die immer noch vor der Toilettentür stand, und machte sich auf den Weg zum Lehrerzimmer. Die Tür war halb offen, und er ging hinein, ohne anzuklopfen. Das konnte niemanden stören, denn alle, die sich im Raum befanden, standen in einer großen Traube vor dem Stundenplan. Sie hätten ihn wohl selbst dann nicht bemerkt, wenn er eine Bombe fallengelassen hätte. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, die Unterrichtszeiten, die sie betrafen, in ihre Notizbücher zu übertragen. Sven-Erik hatte die Auskünfte, die ihn angingen, schon vorhin erhalten, und daher ging er in aller Ruhe zu einer Sofagruppe und setzte sich hin.
Er nahm sich eine Zeitung und blätterte fast zehn Minuten darin, bevor jemand ihn bemerkte.
»Sieh mal einer an! Wir haben einen neuen Mann bekommen!«
Sven-Erik blickte über den Rand der Zeitung hinweg, und als er entdeckte, daß es eine junge, dunkle Schönheit war, die gerufen hatte, legte er sofort die Zeitung weg und stand auf. Er verneigte sich – auch vor den anderen – , nannte seinen Namen und die Fächer, in denen er unterrichten sollte. Die anderen, die sich kurz vom Schwarzen Brett losrissen und ihre Aufmerksamkeit ihm zuwandten, nickten und murmelten ihre Namen. Sven-Erik hatte keine Möglichkeit, alle Namen zu behalten, aber das mußte eben der Zeit überlassen bleiben.
Er setzte sich wieder hin, und die junge Frau, die ihn als erste entdeckt hatte, setzte sich lachend neben ihn.
»Das sieht denen ähnlich«, sagte sie. »Sie sind von ihrem eigenen Kleinkram so ausgefüllt, daß sie sich um andere Dinge überhaupt nicht kümmern. Sie haben bestimmt schon wieder vergessen, daß Sie hier sind.«
Sven-Erik nahm sie etwas näher in Augenschein. Sie machte einen so unglaublich frischen und durchtrainierten Eindruck, daß er sich sagte, sie könne nur die Turnlehrerin der Schule sein.
»Aber Sie haben Zeit«, sagte er. »Wieso das? Müssen Sie nicht auch Ihre Unterrichtszeiten notieren?«
Sie schüttelte den Kopf, so daß ihr kurzgeschnittenes dunkelbraunes Haar flatterte, und zeigte in einem schnellen Lächeln ihre blendend weißen Zähne.
»Nein, bei mir sind die Dinge nicht so kompliziert wie bei den anderen. Ich gebe nur Turnunterricht, und der kann nur an zwei Orten gegeben werden: drinnen oder draußen.«
Sven-Erik hatte also richtig getippt.
»Übrigens, ich heiße Kerstin Persson – aber niemand nennt mich anders als Kicki, und das solltest du auch tun. Ja, ich sage du. Nicht alle mögen das, aber ich halte es für albern, wenn Kollegen, die sich tagtäglich sehen, sich mit ›Sie‹ oder ›Herr Direktor anreden.«
Sven-Erik pflichtete ihr bei. Ihre fröhliche Art steckte ihn an, bis er sich dabei ertappte, daß er wie sie über jede Kleinigkeit lachte und herumalberte. Da nahm er sich zusammen und stand auf.
»Jetzt muß ich mich leider wieder auf den Weg machen. Ich muß mir erst einmal das Zimmer ansehen, in dem ich wohnen soll. Das wird nicht ganz einfach sein, denn ich kenne mich hier überhaupt nicht aus.«
»Wo ist es denn?« fragte Kicki.
Sven-Erik holte den Zettel mit der Anschrift aus der Tasche und reichte ihn ihr. Sie las, riß die Augen auf, las von neuem und prustete dann los.
»Was für ein Zufall«, sagte sie und gab Sven-Erik den Zettel zurück. »Genau dort wohne ich auch.«
Sie erhob sich und nahm ihre Handtasche.
»Komm mit, dann zeige ich dir, wo es ist. Ich habe hier nichts mehr zu tun. Ein kleiner Spaziergang mit dir macht mir also nichts aus.«
Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging sofort aus dem Lehrerzimmer auf den Flur. Sven-Erik schnappte sich seine Reisetasche und lief hinterher. In der Tür drehte er sich noch einmal kurz um und verbeugte sich vor den anderen, aber niemand nahm davon Notiz. Als er die große Eingangshalle erreichte, stand Kicki schon an der Tür nach draußen und hielt sie ihm auf. Er lief rasch über den glänzenden Fußboden zu ihr hin und folgte ihr hinaus in den warmen Sonnenschein.
Seite an Seite gingen sie durch die Stadt, und nach einer Weile zog Sven-Erik sein Jackett aus und legte es über die Schulter. Ab und zu mußte er seine Reisetasche in die andere Hand nehmen, und jedesmal tauschten er und Kicki die Seiten. Endlich ging ihnen auf, wie albern das war, und mit einem entschlossenen Griff faßte Kicki mit an und half ihm, die Tasche das letzte Stück des Weges zu tragen.
»Hier
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