Maigret und Monsieur Charles
1
Maigret spielte in einem noch ein wenig verfrorenen Sonnenstrahl. Er spielte nicht mit Bauklötzen, wie er es als Kind tat, sondern mit Pfeifen.
Er hatte stets fünf oder sechs auf seinem Schreibtisch liegen, und bevor er sich eine davon stopfte, wählte er sie je nach Laune sorgfältig aus.
Er ließ die Schultern hängen, und sein Blick war müde. Gerade eben hatte er über seine restliche Karriere entschieden. Er bereute nichts, aber es blieb doch eine gewisse Melancholie in ihm zurück.
Mechanisch und tiefernst schob er die Pfeifen auf der Schreibunterlage herum, so dass sie mehr oder weniger geometrische Figuren bildeten oder an dieses oder jenes Tier erinnerten.
Rechts auf dem Schreibtisch stapelte sich die Morgenpost, und er hatte nicht die geringste Lust, sich damit zu befassen.
Als er kurz vor neun in der Kriminalpolizei angekommen war, hatte er, was selten vorkam, die Aufforderung vorgefunden, beim Polizeipräsidenten zu erscheinen, und hatte sich zum Boulevard du Palais begeben, während er sich fragte, was das wohl zu bedeuten hatte.
Der Polizeipräsident hatte ihn sofort empfangen, mit einem herzlichen Lächeln.
»Erraten Sie nicht, warum ich Sie sehen wollte?«
»Ich muss gestehen, nein.«
»Setzen Sie sich. Zünden Sie Ihre Pfeife an.«
Der Polizeipräsident war jung, kaum vierzig, und kam von der Verwaltungsakademie. Er war elegant, ein wenig zu elegant vielleicht.
»Es ist Ihnen ja bekannt, dass der Direktor der Kriminalpolizei nächsten Monat in den Ruhestand tritt, nachdem er sein Amt zwölf Jahre innehatte... Gestern habe ich mit dem Innenminister über die Nachfolge gesprochen, und wir sind überein gekommen, den Posten Ihnen anzubieten...«
Der Polizeipräsident erwartete wohl, freudige Bewegung auf dem Gesicht seines Gesprächspartners zu entdecken.
Maigret hingegen hatte sich verdüstert.
»Ist das ein Befehl?« hatte er fast unwirsch gefragt.
»Nein, natürlich nicht. Sie müssen sich aber darüber im Klaren sein, dass dies eine bedeutende Beförderung ist, die bedeutendste, auf die ein Beamter der Kriminalpolizei hoffen kann...«
»Ich weiß. Ich würde jedoch lieber an der Spitze der Kriminalbrigade bleiben. Nehmen Sie mir diese Antwort bitte nicht übel. Ich bin jetzt seit vierzig Jahren im Außendienst. Es liegt mir nicht, meine Tage im Büro zu verbringen, Akten zu wälzen und mich mit mehr oder minder verwaltungstechnischen Angelegenheiten zu befassen...«
Der Polizeipräsident konnte seine Überraschung nicht verbergen.
»Meinen Sie nicht, Sie sollten sich Zeit zum Überlegen nehmen und mir Ihre Antwort erst in einigen Tagen geben? Vielleicht könnten Sie auch Madame Maigret nach ihrer Meinung fragen.«
»Sie würde mich verstehen.«
»Ich verstehe Sie auch und möchte Sie nicht drängen ...«
Trotzdem lag ein gewisser Unwillen auf seinem Gesicht. Er verstand, ohne wirklich zu verstehen. Maigret brauchte die Kontakte, die er durch seine Ermittlungen hatte, und es war ihm oft zum Vorwurf gemacht worden, dass er diese nicht von seinem Büro aus leitete, sondern aktiv daran mitwirkte und dabei Aufgaben übernahm, für die normalerweise die Inspektoren zuständig sind.
Er spielte geistesabwesend mit seinen Pfeifen. In ihrer jetzigen Anordnung erinnerten sie an einen Storch.
Das Fenster funkelte in der Sonne. Der Polizeipräsident hatte ihn zur Tür geleitet und ihm freundschaftlich die Hand gedrückt. Dennoch wusste Maigret, dass man ihm die Sache an höchster Stelle übelnehmen würde.
Gemächlich zündete er eine der Pfeifen an und paffte in kleinen Zügen.
Innerhalb weniger Minuten hatte er über seine berufliche Zukunft entschieden, die gar nicht mehr so lang war, denn in drei Jahren würde man ihn in den Ruhestand versetzen. Da sollte man ihn doch wenigstens, verdammt nochmal, diese drei Jahre so verbringen lassen, wie es ihm gefiel!
Er musste aus dem Büro herauskommen, an der frischen Luft sein, bei jeder neuen Ermittlung eine andere Welt entdecken. Er brauchte die Bistros, wo er so oft wartend am Tresen stand und eine Halbe trank oder einen Calvados, je nach den Umständen.
Er musste in seinem Büro geduldig mit einem Verdächtigen ringen können, der nichts sagen wollte, und manchmal, nach Stunden, ein dramatisches Geständnis von ihm erhalten.
Er hatte ein ungutes Gefühl. Er fürchtete, man würde es sich überlegen und ihn auf die eine oder andere Weise zwingen, die Ernennung anzunehmen. Er aber wollte um keinen Preis, obwohl es eine Art
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