Anthrax
Daß sie an verschiedenen Küsten stationiert waren und in unterschiedlichen Truppengattungen Dienst taten, hatte der Pflege ihrer Freundschaft im Wege gestanden. Höchstens wenn sie, was jedoch nur äußerst selten vorkam, zufällig beide gleichzeitig Urlaub machten, hatten sie sich in Bensonhurst getroffen. Dann war es jedesmal wie in alten Zeiten gewesen, und sie hatten ›Kriegsgeschichten‹ ausgetauscht – und zwar vom Golfkrieg. Obwohl sie nie darüber gesprochen hatten, waren sie beide davon ausgegangen, daß sie bei der Armee Karriere machen würden. Doch dann war es anders gekommen. Letztlich waren sie beide von ihren jeweiligen Truppen enttäuscht gewesen.
Curt hatte die schlimmere Erfahrung gemacht. Er hatte einen hohen Rang als Ausbilder bekleidet und Rekruten für einen Elite-Spähtrupp der Marines trainiert. Während eines besonders gefährlichen Nachtmanövers und auf ausdrücklichen Befehl von Curt, dem Feind nicht auszuweichen, war ein Rekrut gestorben. Die Nachforschungen hatten ergeben, daß Curt eine Mitverantwortung trug. Darüber, daß der junge Rekrut eigentlich gar nicht in die Eliteeinheit gehört hätte, hatte keiner ein Wort verloren; er galt als ›Mamasöhnchen‹ und kam nur zu dieser Truppe, weil sein Vater ein hohes Tier in Washington war. Curt war zwar nicht bestraft worden, doch der Zwischenfall hatte sein Ansehen befleckt und ihm seine weiteren Aufstiegschancen verbaut. Zuerst fühlte er sich am Boden zerstört, doch dann war seine Depression in Wut umgeschlagen. Er kam sich von der Regierung im Stich gelassen vor, und das nach all dem, was er für sein Land getan hatte. Als der Tag gekommen war, an dem er sich neu hätte verpflichten müssen, hatte er kurzerhand den Dienst quittiert. Auch Steve war beim Militär nicht glücklich geworden. Nach einem langen und frustrierenden Bewerbungsverfahren war er endlich für eine Ausbildung bei den Green Berets akzeptiert worden. Doch dann hatte ihn plötzlich eine Grippe außer Gefecht gesetzt, so daß er die Ausbildung noch während des dreiwöchigen Bewertungslehrgangs unverschuldet hatte abbrechen müssen. Als er erfuhr, daß er die ganze Bewerbungsprozedur all seinen bisherigen außerordentlichen Verdiensten für die Armee zum Trotz von vorn beginnen mußte, war er entrüstet Curts Beispiel gefolgt und mit dem Gefühl, verraten worden zu sein, aus dem Militärdienst ausgeschieden.
Nach etlichen Gelegenheitsjobs, meistens bei privaten Sicherheitsdiensten, war Curt schließlich als erster von den beiden bei der New Yorker Feuerwehr gelandet. Die Arbeit hatte ihm von Anfang an Spaß gemacht: Das Hierarchiegefüge glich dem des Militärs; die Uniformen, die inspirierende Aufgabe, das Ehrgefühl und die interessante Ausrüstung – all das gefiel ihm. Ohne jegliche Art von Waffen kam der Job natürlich nicht ganz an den bei den Marines heran, aber immerhin fast. Außerdem konnte er wieder in Bensonhurst leben, was ihm ebenfalls sehr behagte.
Ziemlich bald hatte er auch Steve ermutigt, die Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst abzulegen. Steve war eingestellt worden, und nach einigem Hin und Her hatten sie es sogar geschafft, für die gleiche Feuerwache und letztlich sogar beim gleichen Löschzug eingeteilt zu werden. Hier hatte sich der Kreis geschlossen. Sie wohnten wieder nachbarschaftlich in Bensonhurst und waren die dicksten Freunde. »Natürlich kneife ich nicht«, stellte Steve mißmutig klar. »Ich habe nur das dumme Gefühl, das wir uns Ärger einhandeln. Für das Gebäude ist nun mal keine Brandschutzinspektion vorgesehen. Was sollen wir tun, wenn sie auf der Wache anrufen?«
»Wer weiß schon, daß keine Inspektion ansteht?« fragte Curt zurück. »Und wenn jemand auf der Wache anruft? Na und? Der Brandmeister hat Urlaub. Außerdem führen wir nur gesetzlich vorgeschriebene Kontrollen durch. Ich habe nämlich herausgefunden, daß bei der letzten Brandschutzinspektion dieses Verwaltungsgebäudes etwas beanstandet wurde. Falls irgend jemand Fragen stellt, sagen wir einfach, daß wir checken, ob die Beanstandung behoben wurde.«
»Was wurde denn beanstandet?«
»Der Inhaber des Sandwich-Kiosks im Erdgeschoß hat einen kleinen Grill aufgestellt«, erklärte Curt. »Wahrscheinlich hat irgendein Lebensmittelkontrolleur im nachhinein seine Zweifel bekommen. Eine Genehmigung für den Grill gibt es vermutlich sowieso nicht. Und dann ist er auch noch ohne Ansul-Trockenlöscheinrichtung dahingestellt worden. Wir prüfen einfach, ob
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