Antrag nach Mitternacht
Arm und sah sie mitfühlend an. Sie kannte fast die ganze Geschichte, doch sie wusste, wie schmerzhaft sie für Francesa war. Deshalb ging sie auch weiter darauf ein. „Du hast gedacht, sie sei seine Geliebte?“
„Anfangs nicht. Sie sagte es mir zwar geradeheraus, aber ich weigerte mich, es ihr zu glauben. Ich kannte Rochford. Oder zumindest dachte ich, ihn zu kennen. Mir war klar, dass er mich nicht genauso liebte wie ich ihn, doch ich hielt ihn für einen zu ehrbaren Mann, der nicht der einen Frau die Ehe verspricht und die andere zu seiner Geliebten nimmt. Doch eines Abends, hier in diesem Haus, musste ich feststellen, dass ich mich geirrt hatte. Nach einem Tanz brachte mir ein Diener eine Notiz, die besagte, wenn ich mich in den Wintergarten begebe, würde ich etwas Interessantes vorfinden.“
„O weh!“
„Ja, genau. O weh! Ich dachte, die Nachricht kommt vom Duke, weil er eine Überraschung für mich vorbereitet hat, möglicherweise etwas Romantisches. In der Woche davor hatte er mir Saphirohrringe geschenkt und erklärt, es seien die besten, die er finden könne, allerdings reiche ihr Strahlen nicht an das meiner Augen heran.“ Sie stieß einen Laut aus, der halb Lachen, halb Seufzen war. „Meine Güte, das alles kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her.“
„Hast du diese Ohrringe noch?“, fragte Irene.
„Ja, natürlich. Sie sind wunderschön. Ich habe sie nie getragen, aber ich konnte sie auch nicht weggeben. Selbstverständlich bot ich ihm an, sie zurückzugeben, doch er weigerte sich und warf mir den finstersten Blick zu, den man sich vorstellen kann.“
„Ich nehme an, du hast ihn zusammen mit Lady Daphne in flagranti erwischt?“
Irene nickte. Noch immer konnte sie sich gut erinnern, wie sie sich gefühlt hatte, so von Liebe und Eifer erfüllt, während sie durch die breiten Flure zum Wintergarten geeilt war. Sie hatte gehofft, Rochford habe eine Gelegenheit gefunden, um ein wenig Zeit mit ihr allein zu verbringen. Hier in der Stadt war das sogar noch schwieriger gewesen als zu Hause, da sie nicht nur von Anstandsdamen, sondern auch von der gesamten Gesellschaft umgeben waren. Ein solch heimliches Stelldichein hätte zwar gar nicht zu ihm gepasst, da er stets in erster Linie auf ihre Ehre bedacht gewesen war und sich nicht zu irgendwelchen Handlungen hatte hinreißen lassen, die ihrem Ruf hätten schaden können. Aber vielleicht war er ja von seiner Leidenschaft überwältigt worden, und allein der Gedanke hatte einen wohligen Schauer über ihren Rücken laufen lassen.
Sie hatte sich nicht so richtig vorstellen können, wie es sein würde, Sinclair zu erleben, wenn er vor Leidenschaft brannte. Der Duke strahlte stets Gelassenheit aus, und selbst im Angesicht der größten Krise behielt er die Ruhe. Zudem achtete er darauf, dass er sich bei jeder Gelegenheit absolut korrekt verhielt. Dennoch war es hin und wieder vorgekommen, dass er sie geküsst hatte. Dabei hatte er seine Lippen so fest auf ihre gepresst, und seine Haut hatte so geglüht, dass ihre Nerven von einem eindringlichen Kribbeln erfasst worden waren, das sie vor die Frage stellte, ob es in seinem Inneren wohl genauso aussah. Jedes Mal hatte er sich natürlich rasch wieder von ihr gelöst, doch ihr war nicht das Aufblitzen in seinen Augen entgangen, das auf eine köstliche Weise etwas Hitziges und fast Erschreckendes an sich gehabt hatte.
„Ich betrat den Wintergarten“, berichtete Francesca ihrer Freundin, „und ich rief seinen Namen. Sinclair hielt sich am entlegenen Ende des Raums auf, aber zwischen uns befanden sich einige Orangenbäume. Er kam mir entgegen, und ich sah, dass sein Halstuch schief saß und seine Haare zerzaust waren. Im ersten Moment verstand ich nicht, doch dann bemerkte ich ein Geräusch, und ich schaute an ihm vorbei. Daphne trat ebenfalls hinter den Bäumen hervor, und ihr Kleid war an der Vorderseite bis zur Taille geöffnet.“
Unbewusst verhärtete sich Francescas Miene, als die Erinnerung an diesen Moment wach wurde. Daphnes Haare waren ähnlich unordentlich, Locken hingen ihr ins Gesicht. Ihr hauchdünnes Unterkleid hatte offengestanden, sodass ihre vollen weißen Brüste fast völlig unbedeckt waren. Ihr Lächeln hatte Francesca an eine Katze erinnert, die von etwas Verbotenem genascht hatte. Francesca war am Boden zerstört gewesen.
„Als ich das sah, wurde mir klar, wie dumm ich doch gewesen war. Zwar hatte ich mir nicht vorgemacht, Rochford sei hoffnungslos in mich verliebt.
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