Der Fluch von Melaten
An den Rändern der Strecke standen Frauen, Männer und Kinder. Sie alle jubelten, drohten, schrien. Wären nicht Soldaten als Schutz mitgegangen, dann hätten sie den Wagen gestürmt, die drei Frauen herausgeholt und sie brutal getötet.
Die Gefangenen waren hinter den Holzgitterstäben zu sehen. Befreien konnten sie sich nicht, denn auch über ihren Köpfen befanden sich die Stäbe, die sie von einer Flucht abhielten. Zudem hatte man sie gefesselt. Mit dicken Stricken waren sie aneinander gebunden worden. Sie hockten auf dem Boden und wurden durch die schaukelnden Bewegungen des Wagens immer wieder gegeneinander geworfen. Sie fuhren einem Ziel entgegen, ihrem Tod, aber die Angst war ihnen nicht anzusehen. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos; selbst dann wenn Zuschauer versuchten, sie anzuspucken, regte sich nichts.
Sie hatten keine Chance, aber sie nahmen es gleichgültig hin. Ab und zu bewegten sich ihre Gesichter, wenn sie lächelten, und sie schienen mit ihrem Ende sehr zufrieden zu sein.
Drei Frauen – drei Namen!
Die Blonde hieß Marietta. Sie war mal hübsch gewesen, doch die Spuren der letzten Folter hatten ihre Spuren hinterlassen. So schimmerte das Gesicht an einigen Stellen blau bis grau, Nachwirkungen der Schläge, die sie erhalten hatten. Das Haar war schmutzig und hing verfilzt bis hinab in den Nacken. Ihr Körper war von ebenfalls schmutzigen Lumpen umhüllt. Sie waren mal ein Kleid gewesen.
Sibilla, die zweite Frau, besaß rotes Haar. Für viele Menschen sowieso schon ein schlechtes Zeichen. Eine Frau mit roten Haaren war nicht normal. Da hatte der Teufel mit seinen Vasallen dafür gesorgt, dass sie ihm immer dankbar war. Auch Sibilla hatte ihr ursprüngliches Aussehen verloren. Schmutzig, mit blutigem Gesicht und gesenktem Kopf hockte sie auf dem Boden des Karrens, und ihr nach unten gerichteter Blick verlor sich ins Nichts. Das Zucken der Lippen sah kaum jemand, aber sie lächelte hin und wieder.
Die dritte Gefangene hieß Hanna. Eine dunkelhaarige Schöne. Eine Hure des Teufels, wie sie genannt worden war. Ihr Körper zeigte besonders viele Merkmale wilder Folterungen. So zeichneten sich auf ihrer Haut die Wunden ab, die mittlerweile eine Kruste mit einem Schorffilm bekommen hatten. In der Folter hatte man ihr zwei Finger der rechten Hand gebrochen, die nun in rechtem Winkel nach unten hingen und zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Auch war die Hand durch den Bruch dicker geworden, so dass sie mehr an einen Klumpen erinnerte.
Die drei Frauen hatten Schlimmes hinter sich. Auch jetzt litten sie an den Folgen, aber sie schrien nicht mehr. Diese Zeiten waren vorbei. Sie brüllten nicht nach dem Teufel als großem Befreier, sie wussten, dass der Scheiterhaufen wartete.
Aber in ihren Seelen hatte sich die Hoffnung gebildet. Eine düstere Hoffnung. Ein Gefühl, von dem die vielen Menschen, die den Weg zum Scheiterhaufen säumten, nichts ahnten. Eine Flamme war in ihnen aufgelodert, und die würde so leicht nicht verlöschen.
Der Karren rumpelte weiter. Hin und wieder erhielten die breiten Pferderücken Peitschenschläge, denn die Gäule waren müde geworden und wurden immer angetrieben.
Am Himmel trieben düstere Wolken entlang. Hin und wieder zerriss der Wind sie und sorgte für Lücken, die dann wie eine bleiche Totenhaut schimmerten.
Die Soldaten hatten die drei Frauen aus der Stadt geschafft. Die Hinrichtung musste jenseits der Ringe stattfinden, an einem Platz, den die meisten Menschen mieden, denn dort war das Lager der Pesttoten. Genau da waren viele der ausgemergelten Leiber auch dem Feuer übergeben worden. Und das sollte auch die drei Frauen fressen und dafür sorgen, dass von ihnen nur Asche zurückblieb.
Immer wieder brüllten die Zuschauer sie an. Kinder wurden hochgehoben, um die Bösen zu sehen, die sich mit den Schergen der Hölle eingelassen hatten.
Marietta, Sibilla und Hanna ließen diese Beschimpfungen stoisch über sich ergehen. Hin und wieder schauten sie sich an, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Ihre Körper bewegten sich im Rhythmus des schaukelnden Karrens. Oft genug wurden sie gegeneinander geschleudert, und das sah immer so aus, als würden sie sich gegenseitig Kraft geben, um dem Tod standhalten zu können.
Die Strecke, die bisher als Weg oder Straße hätte angesehen werden können, verlor sich und mündete in einen freien Platz, dem Ziel des Transports und zugleich die Hinrichtungsstätte, wo Soldaten ihre Mühe hatten, das Volk zurückzuhalten, die den Ring aus
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