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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Als sie fortfuhr, war ihre Stimme um mehrere Grade abgekühlt.
    »In diesem Moment jedenfalls dachte ich, es wäre aus. Es war keine angenehme Erfahrung.«
    »In diesem Höllenstrudel hätte es Ihnen auch nichts genutzt, schwimmen zu können«, sagte er hastig. Es klang unbeholfen, sogar in seinen eigenen Ohren, aber plötzlich hatte er das Gefühl, sich verteidigen zu müssen – vielleicht, weil eine Verletzung nicht wirklich weniger schlimm war, nur weil man sie nicht laut aussprach.
    »Vermutlich nicht«, antwortete sie, schon wieder halbwegs versöhnt, aber dennoch kurz angebunden. »Ich weiß nicht, was danach passiert ist. Als ich wieder aufgewacht bin, haben wir hier am Strand gelegen.«
    »Wir?«
    »Dieses arme Mädchen und ich«, bestätigte Miss Preussler. »Ich glaube, sie hat mich aus dem …«
    »Sie lebt?«, unterbrach sie Mogens aufgeregt. Er musste sich beherrschen, um nicht zu schreien. »Wo? Wo ist sie?«
    »In einer Höhle, nur ein paar Schritte von hier«, antwortete Miss Preussler. »Das arme Kind war vollkommen verstört. Ich glaube, sie hat noch niemals den Himmel gesehen. Er scheint ihr furchtbare Angst zu machen, und …«
    »Wo?«, unterbrach sie Mogens. Diesmal schrie er wirklich.
    Miss Preusslers Blick kühlte noch einmal um mehrere Grade ab, und ihre Stimme wurde spröde wie Glas. »Kein Grund, unhöflich zu werden, Professor, oder gar Ihre guten Manieren zu vergessen.«
    Sie ließ noch einen angemessen tadelnden Blick folgen, aber dann drehte sie sich gehorsam herum und ging mit unerwartet schnellen Schritten und trotzig in den Nacken geworfenem Kopf über den Strand davon. Mogens musste sich plötzlich sputen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
    Die wenigen Schritte, von denen sie gesprochen hatte, erwiesen sich als eine Strecke von gut hundert Metern oder mehr. Mogens versuchte Miss Preussler unterwegs noch zweimal anzusprechen, und sei es nur, um sich für sein rüdes Verhalten von gerade zu entschuldigen, aber sie hüllte sich in beleidigtes Schweigen, und schließlich gab er es auf und fasste sich in Geduld, bis sie die Höhle erreichten.
    Streng genommen war es keine Höhle, sondern nur ein Felsüberhang, unter dem die geduldige Kraft des Wassers über Jahrhunderte hinweg einen Teil der weicheren Felsschicht ausgespült hatte. Die junge Frau saß in ängstlicher Haltung zusammengekauert im hintersten Winkel der Höhle, so weit vom Sonnenlicht und der schrecklichen Weite jenseits des Eingangs entfernt, wie es nur ging, und Graves saß mit leerem Gesicht neben ihr.
    Mogens prallte abrupt zurück und stieß ein überraschtes Keuchen aus. »Jonathan!« Aber wieso lebte er noch? Er hatte gesehen , wie – ihn das Ungeheuer tötete! Nein, dachte Mogens. Genau genommen hatte er es nicht gesehen. Er hatte gesehen, was ihm die Kreatur angetan hatte, und danach war er über Bord gestürzt und im Wasser versunken. Aber kein Mensch konnte eine so grauenvolle Verletzung überleben, wie sie Graves erlitten hatte.
    »Wie …?«, murmelte er hilflos.
    »Er lag am Strand, als ich zu mir gekommen bin«, antwortete Miss Preussler leise. »Ich dachte mir, es ist einfacher, wenn ich es Ihnen zeige, Professor.« Sie versuchte – vergeblich – zu lächeln und hob schließlich hilflos die Schultern. »Ich weiß nicht, wo er hergekommen ist oder wieso er noch lebt. Die Einzige, die uns diese Frage vielleicht beantworten könnte, ist diese arme junge Frau, und sie kann nicht sprechen.«
    Mogens sah nur flüchtig zu dem Mädchen hin, konzentrierte sich aber sofort wieder auf Graves. Er war nicht nur am Leben, sondern offensichtlich auch bei Bewusstsein – falls man seinen Zustand so nennen konnte. Er hatte die Unterarme in den Schoß gebettet, und jemand – vermutlich Miss Preussler – hatte ein Stück nasses Tuch über die Stelle gelegt, an der seine Hände sein sollten. Rücken und Hinterkopf hatte er gegen den Fels gelehnt, und seine Augen waren geöffnet und blinzelten, wenn auch sehr langsam; es war mehr ein gleichmäßiges, bewusstes Senken und Heben der Lider als ein wirkliches Blinzeln. Sein Blick war auf einen Punkt irgendwo im Nichts gerichtet, aber Mogens glaubte nicht, dass er wissen wollte, was Graves sah.
    »Jonathan?«, fragte er.
    Er bekam keine Antwort.
    »Doktor Graves?«
    Diesmal reagierte Graves, wenn auch nicht sofort. Sein Blick verharrte noch einen Moment auf jenem schrecklichen Punkt in der Unendlichkeit und kehrte auch dann nur ganz allmählich in die Realität

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