Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
menschliches Auge erspähen konnte, in den Tiefen seiner Höhle, unsichtbar, als habe es ihn nie gegeben.
    Alex klopfte sich den Staub von der Hose und kontrollierte den ordnungsgemäßen Zustand seiner Ritter. Alle hatten diesen finalen Sprung heil überstanden. Ein letzter Blick wanderte aus dem Schatten des Hofes hinauf zum Glühen der Turmspitze – vielleicht doch noch ein paar Minuten? Alex riss sich nach einem weiteren Blick auf sein Handydisplay los: Es half alles nichts, spätestens in einer halben Stunde stand daheim das Abendessen auf dem Tisch. Vielleicht wollte Vater grillen, das Wetter dazu hatten sie schon mal. Also dann: bis morgen.
    Wie immer nahm der Junge den kaum zu sehenden Trampelpfad über den ehemaligen Burghof. Hätte es nicht die Mauerreste ringsum gegeben, wäre das hier nur ein Stück Wald, mehr nicht. Jahre und Jahrzehnte hatten das Bauwerk wieder in Natur zurückverwandelt, riesige Tannen wuchsen da, wo einmal Pferde durch ein schmales Tor die Burg betreten haben mochten, Holunder und hüfthohes Gras wucherten dazwischen und alles ringsum atmete Menschenlosigkeit und Stille. Vom zweiten Turm herab beobachtete ein Falkenpaar den Eindringling, wie dieser zwischen Birkenschösslingen verschwand und einen Augenblick später durch eine Bresche in der Außenmauer stieg. Dort blieb das Kind stehen, blickte nach rechts, wo der Pfad zum Fuß der Burg seinen Ausgangspunkt hatte, und nach unten. Warum nicht , dachte Alex, stieß sich ab und sprang. Warum nicht die Abkürzung nehmen ? Beide Hände auf die Taschen mit den Plastikrittern gepresst, wollte er sich den Hang hinuntergleiten lassen. Er spürte, wie die Mauerreste unter seinen Sohlen verschwanden, zurückblieben, bis morgen. Ein kurzer freier Fall, dann Gras und Geröll. Alex wollte wie schon so oft die Füße nach vorn strecken, den Hang hinabrutschen und zusammen mit einer kleinen Lawine aus Kieseln, Staub und Ästen bis zum Fuß der Ruine rutschen. Aber statt den Jungen auf seinem Rücken nach unten zu tragen, öffnete der Berg plötzlich sein Maul. Als Alex aufkam, spürte er den Boden unter sich zurückweichen, es fühlte sich an wie eine Landung auf Kieselpudding, hart aber gleichzeitig auch weich, fester Boden, der nachgab, sich öffnete und ihn verschlucken wollte. Alex ließ seine Taschen los, breitete die Arme aus, spürte den Berg an ihm saugen. Ja, das traf es genau: Der Berg saugte den Jungen auf und Alex verschwand zusammen mit einer ordentlichen Portion Schutt in einem bis eben nicht da gewesenen Loch am Fuße der Mauer. Alles ging so schnell, dass Alex noch nicht einmal Zeit zu einem Hilferuf fand. Die Falken sahen die Hände des Jungen im Berg verschwinden, hörten etwas aufschlagen. Steine rollten den Hang hinab, dann endlich kehrte wieder Ruhe ein.

2 Tod eines Streicheldiebes

    » Miez miez miez …« Max streckte die Hand aus, hielt sie ganz ruhig. Mit einer Stimme süßer als Honig lockte er das kaum sechs Wochen alte Kätzchen und dessen zwei Geschwister aus ihrem Versteck, einer Art Höhle im Heu, ganz hinten, da wo ein Stapel Bretter aus dem vertrockneten Gras herausragte.
    Max kam selten hierher, weder in den Stall noch auf den darüberliegenden Heuboden. Seine Eltern hatten längst alle Bemühungen aufgegeben, ihren Ältesten zur Mithilfe im Stall zu animieren und er verbrachte seine Zeit lieber vor dem Fernseher oder im Bett mit einem Stapel Comics und einer Tüte Chips. »Komm mein kleines Kätzchen. Na, komm zu mir.« Max pfiff ganz leise, er säuselte und lockte die unerfahrenen Tiere mit einem Grashalm. Eines der drei bunten Fellknäuel streckte die Pfote aus, schlug nach dem Spielzeug, sprang hervor und biss hinein. Max streichelte das Tier und das Tier ließ es geschehen, schien, als es die große warme Hand endlich bemerkte, diese Berührung sogar zu genießen. Es schmiegte sich in die Hand des Jungen, schnurrte und kaute dabei am Grashalm.
    Dem Dreizehnjährigen stand der Schweiß auf der Stirn und das lag ganz bestimmt nicht nur an der hier oben herrschenden Hitze. Schweißtreibender Faktor zwei hieß: Leiter. Doch Leiter und Leiter sind nicht immer dasselbe. Bei dieser Leiter hier handelte es sich nicht etwa um ein breites Gestell, mit eng beieinanderstehenden Sprossen und so angelehnt, dass man ganz gemächlich auf ihr hinaufsteigen konnte, nein, diese Leiter hier musste ein Riese gebaut haben. Jede zweite Sprosse fehlte und da sie kaum länger war als gerade so nötig, um auf den Heuboden zu gelangen,

Weitere Kostenlose Bücher