Arche Noah | Roman aus Ägypten
Wohnung für unbegrenzte Zeit anmietete. Allerdings verschlang der irrsinnige Preisanstieg der letzten Jahre mit teuflischem Maul alle Einnahmen aus der Wohnung. Dem blonden Herrn weitere Mieterhöhungen zuzumuten, traute sie sich nicht. Und als dann noch Achmad fragte, ob es eine Möglichkeit gebe, die 70 000 Pfund aufzutreiben, um sich in die Staatsanwaltschaft einzukaufen, spielte sie kurz mit dem Gedanken, das Huhn, das goldene Eier legt, zu schlachten. Besonnen wie immer, entschied sie jedoch, dass ein Verkauf der Wohnung ein kurzsichtiger, ja geradezu selbstmörderischer Schritt wäre. Welche Garantie hätte sie, dass der Betrag Achmad tatsächlich, wie er behauptete, Zugang zur Staatsanwaltschaft verschaffte?
Dann folgte der Moment, in dem ihnen das Glück ganz und gar den Rücken kehrte.
E in Unglück kommt selten allein. Da helfen auch keine aufmunternden Worte mehr. Und die Hymne »Anwalt zu sein ist eine wunderbare Sache«, die ich mir täglich vor und nach dem Frühstück vorbetete, zog erst recht nicht.
Ich konnte das nicht. Um meine Arbeit zu machen, musste ich dauernd gegen mein Gewissen handeln und alles, was ich bei den Juristen an der Uni gelernt hatte, über Bord werfen. Dieser Beruf widerspricht sämtlichen Prinzipien meiner Erziehung und Lebensführung sowohl im Hinblick auf die Zustände im Gericht als auch in der Staatsanwaltschaft. Im Grunde könnte man gleich Mörder die Arbeit der Anwälte erledigen lassen. So weit ist es doch schon! Eines Tages bekam ich ein Problem mit Herrn Guma. Er gewann einen Prozess. Das heisst, wir mussten dafür sorgen, dass dasUrteil vollstreckt wird. Er schickte mich los, um den Gerichtsvollzieher und die Polizei hinzuzuziehen. Als ich beim Gerichtsvollzieher anklopfte, sagte er, ich solle am nächsten Tag wiederkommen. Und so ging es von einem Tag auf den nächsten. Ich war ratlos. Schliesslich fragte mich der Anwalt gereizt, wie viel ich mit ihnen ausgehandelt hätte. Ein Anwalt muss also die Beamten bestechen, damit sie überhaupt ein Urteil vollstrecken! Die Höhe des Betrags hängt vom Einzelfall und vom eigenen Geschick ab. Jedenfalls sagte ich, dass ich nicht verhandeln könne und der Mann völlig unzugänglich sei. Darauf verlor mein Chef die Beherrschung. »Sie sind zu nichts zu gebrauchen«, brüllte er und schickte einen anderen Anwalt los. Der erledigte alles im Handumdrehen. In der Woche drauf musste ich eine Wohnungsräumung in die Wege leiten. Ein kleines Appartement im Viertel Malik Faissal, der Eigentümer war ein armer Schlucker. Ich handelte die Vollstreckungsbeamten mit Hängen und Würgen auf 3000 Pfund herunter. Herr Guma hielt den Betrag dennoch für überhöht. Für solch eine Wohnung wären, wie er fand, 1500 Pfund vollkommen ausreichend gewesen. »Um ehrlich zu sein, Achmad«, sagte er dann, »ich kann nichts für Sie tun. Ich denke, Sie sollten sich nach einem anderen Anwalt umsehen. Ich kann gern bei Hussain Kûra ein gutes Wort für Sie einlegen.«
Ich ging. Mir war hundeelend zumute.
» M it dem Gefühl, ein tausendjähriger Greis zu sein, verliess ich Herrn Gumas Kanzlei in der Sudanstrasse«, berichtete mir Achmad. »Endlich auf der Strasse angelangt, atmete ich konzentriertes Kohlendioxid ein und fing an zu husten. Ich bekam nicht genug Sauerstoff in die Brust, um mich auch nur einen Schritt von der Stelle bewegen zu können. Also hockte ich mich auf den Bordstein.«
Wie immer um sieben Uhr abends glich die Strasse einem Wartesaal in der Hölle. Es wimmelte nur so von Asphaltteufeln. Hausmeister und Makler, die sich teils mit Wasserpfeife auf dem Gehweg platziert hatten, spielten die Empfangsdame im staatlichen Höllenbüro, umgeben von ohrenbetäubendem Lärm. Schreie, deren Quelle unmöglich zu orten war. Busse, die Mikrobusse verhöhnten. Mikrobusse, die auf Autos spuckten. Ein Dschungel von Blech, Metall und Zement. Das Überleben war nur dem Grössten, Rücksichtslosesten und Kriminellsten vergönnt. Der Abzweig nach Bulâk al-Dakrûr war nur hundert Meter von dem länglichen weissen Kalkstein entfernt, auf dem Achmads Gesäss ruhte. Weil er aber schlagartig dermassen gealtert war, fühlte er sich unfähig, die Strecke zu bewältigen. Kindergekreische, Autohupen, brüllende Fahrer, Motorengeheul und das Geknatter Kohlendioxid ausstossender Auspuffe donnerten Achmad ans Trommelfell, zerfetzten es regelrecht. Unter höchster Anstrengung schottete er seine Sinne ab, sperrte sie hinter Schloss und Riegel. So wie ein
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