Arche Noah | Roman aus Ägypten
Achmad Iseddîn
A chmad ist ein Traum von einem Mann. Gutaussehend, weiche Gesichtszüge, ein intensiver Blick aus tiefschwarzen Augen, die Haut licht wie der Vollmond. Kurzum, er erinnert an einen Filmstar aus der Zeit vor Adel Imam 1 , Hunaidi 2 und dem verstorbenen Alâa Wali al-Dîn 3 . In seiner Brust wohnt ein Juwel von Aufrichtigkeit und Warmherzigkeit. Seit 2003 ist er examinierter Jurist, studiert hatte er an der Universität Kairo. Für Rechtswissenschaften hatte er sich eingeschrieben, um den Willen seines verstorbenen Vaters zu erfüllen, bald aber fand er Gefallen an der Materie. Nur mit Wirtschafts- und Finanzrecht konnte er sich beim besten Willen nicht anfreunden. Wie ein Dorn steckten ihm diese Fächer im Rachen, den auch noch so viel Wasser nicht hinunterzuspülen vermochte.
Sein ganzes Studium hindurch hatte er nur eines im Sinn: Er wollte Staatsanwalt werden. In seinen Träumen sah er sich schon als erfolgreichen, für Gerechtigkeit sorgenden Anklagevertreter. Entschlossen verfolgte er dieses Ziel, er steckte den Kopf in die Bücher und erzielte beste Noten, so dass seine Kommilitonen vor Neid erblassten. Missgünstigen Äusserungen gegenüber aber war er taub. Als er eines Abends zum Himmel schaute und der Vollmond lächelte, versprach er dem Vater, dass er bald Staatsanwalt sein werde, wie er es sich gewünscht hatte.
Nicht ein einziger Mann in der kleinen Familie hattelange durchgehalten. Der Vater starb, als Achmad gerade einmal dreizehn war. Dann starb der Mann seiner Tante mütterlicherseits, der nach dem Tod des Vaters dessen Rolle übernommen hatte. Die Tante, nun allein, weil sie es während ihrer Ehe nicht geschafft hatte, eigene Kinder zu bekommen, klammerte sich an ihn und ihre Schwester. So kam es, dass Achmad von Mutter und Tante wie der Hahn im Korb gepäppelt und gehätschelt wurde. Onkel hatte er nicht, die Grossväter waren bereits vor seiner Geburt gestorben. »Würden die Frauen regieren«, fand Achmad, »dann wäre die Welt ein viel schönerer Ort zum Leben. Aber nur«, schob er lachend nach, »wenn sie nicht so geartet sind wie Condoleezza Rice!«
Achmad bestand das Examen mit dem besten Prädikat und machte sich beherzt daran, seinen Traum zu verwirklichen. Doch ihm war nicht bewusst, dass er nach seinem Abschluss vom Studentendasein in die Welt der Erwachsenen katapultiert würde. Dass er vom Studenten, der sich hauptsächlich mit Lernen, Träumen und Lieben befasst hatte, zum mündigen Bürger würde und als solcher die Logarithmen des Lebens zu bilden hätte. Dass er sich also mit dem verfilzten Zopf der Gesellschaft aus störrischem ägyptisch-afrikanischem Kraushaar würde auseinandersetzen müssen, was nur mit Tricks, Bestechung und Betrug zu bewältigen war. Doch mit jedem Hieb, den ihm Kairo versetzte, verlor er ein Stück seiner Naivität, die er – ebenso wie seine bezaubernden Augen – zweifellos von seiner Mutter geerbt hatte. Eines Morgens, vom Ruf zum Sonnenaufgangsgebet geweckt, stand er auf und ging in die Moschee direkt nebenan. Plötzlich stellte er fest, dass seineBlauäugigkeit verschwunden war. Einfach von ihm abgefallen, als er schlaftrunken aus der kaputten Haustür trat. Das Hymen der Kindheit nun für immer los, stolperte er in eine unbekannte Welt. Eine Welt, die entdeckt werden wollte und geradezu danach verlangte, dass er den Horizont seiner Sinne erweiterte. Um 5 Uhr 57 auf der Matte neben dem rechten Eckpfeiler kniend, begriff er, dass er zur Verwirklichung seines Traums 70 000 Pfund Bestechungsgeld brauchte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Plötzlich sah er, was er in all den Jahren als Student trotz der Hinweise sämtlicher Freunde nicht hatte sehen können. Die Wahrheit überkam ihn wie eine Offenbarung. Nachdem sein Gehirn vom Strudel der Wirklichkeit durchgerüttelt worden war, erkannte er klar und deutlich die heilige, das Leben entschlüsselnde Wahrheit: »Das Tor der Staatsanwaltschaft ist dir, kleiner Mann, verschlossen. Du hast weder genug Speck auf den Rippen noch Vitamin B im Rücken. Also lern beizeiten, nur so weit zu träumen, wie deine Decke reicht.«
Nach dem Morgengebet ging er heim. Zum ersten Mal sank er in einen tiefen, ruhigen Schlaf ohne die schönen Träume vom Erfolg, die ihm das Leben bloss schwergemacht hatten.
N achdem wir alles Mögliche getan, neu überlegt und wieder probiert haben, sehen wir, die junge Generation, nur einen Ausweg: das Land zu verlassen. Hier sind wir verloren. Verloren im
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