Aristoteles: Grundwissen Philosophie
reflektierten Niveau rehabilitiert.
Auf dieser Grundlage können wir noch ein weiteres grundlegendes Merkmal des aristotelischen Philosophierens neu rekonstruieren. Man hat häufig darauf hingewiesen, dass Aristoteles zwischen theoretischer Wissenschaft und sprachlichem Alltagswissen nicht scharf unterschieden hat. Er beginnt seine Untersuchungen oft mit Überlegungen, die sich leicht als sprachliche Analysen lesen lassen, beispielsweise in der
Physik
. Diejenigen analytischen Philosophen, die sich überhaupt für die Geschichte der antiken Philosophie interessieren, neigen dazu, die wichtigste Art der aristotelischen Prinzipien, die »Definitionen«, als analytische Sätze zu verstehen. 48 Eines der aufschlussreichsten Beispiele dafür, wie Aristoteles selbst den Zusammenhang zwischen Dialektik und Wissenschaft, zwischen Alltagswissen und Theorie sieht, findet sich in den
Analytica Posteriora
. Wenn wir etwa wissenschaftlich bestimmen wollen, was der Donner ist, müssen wir mit gewissen Fakten beginnen, über deren Kenntnis wir schon verfügen; wir müssen »bereits etwas von der Sache besitzen«, wie Aristoteles formuliert, etwa dass der Donner ein gewisses Geräusch in den Wolken ist (APo. II 8). Diese These ist eine Art von Definition, allerdings nicht eine Definition im Sinne eines erklärungskräftigen Prinzips, sondern im Sinne einer Konklusion – eine Definition, die angibt, »was der Name bezeichnet«, wie Aristoteles ausdrücklich sagt (APo. II 10). Für jemanden, der wie Aristoteles noch keinen klaren Bedeutungsbegriff hatte, kommt diese Beschreibung einer Kennzeichnung von Definitionen als Bedeutungsangaben sehr nahe. Eine wissenschaftliche Demonstration dieser »semantischen« Definition [140] besteht dann nach Aristoteles nicht nur einfach in der Angabe der unmittelbaren Ursache, sondern auch in einer Vertiefung dieser Erklärung, die in einer weiteren Demonstration und Erläuterung der Ursachenangabe der ersten Demonstration besteht. Damit wird ein recht umfassendes theoretisches Netz sichtbar, das die sprachliche Definition von Donner präzisieren, deduktiv erklären und somit in präzisierter Form auch bestätigen kann.
Wie sollen wir diese und ähnliche Befunde theoretisch deuten? Eine Antwort wird dadurch erschwert, dass Aristoteles das, was wir gern als Artikulation sprachlichen Wissens verstehen würden, meist unbefangen und direkt als Beschreibung von Fakten in der Welt kennzeichnet. Selbst wenn er die Definitionen, die als demonstrative Konklusionen auftreten, als Beschreibungen dessen, was Namen bezeichnen, charakterisiert, sagt er im gleichen Atemzug, dass wir damit etwas von der Sache selbst besitzen. Gelegentlich liest man den Hinweis, dass Aristoteles einfach noch nicht klar zwischen sprachlicher und sachlicher Ebene unterschieden hat, zuweilen mit der zusätzlichen Bemerkung, dass auch in der heutigen Philosophie die Schwierigkeit artikuliert wird, zwischen Propositionen und Sachverhalten eindeutig zu differenzieren, weil uns Sachverhalte nicht unabhängig von wahren Sätzen gegeben sind. Diese Hinweise sind nicht übermäßig hilfreich; sie vermitteln uns kein gutes Verständnis der Art und Weise, wie Aristoteles auf die Verbindung von sprachlichem und theoretischem Wissen geschaut hat.
Es ist aussichtsreicher, die neuere Repräsentationstheorie und eine weitere Version der essenzialistischen Metaphysik als Hintergrund einer Rekonstruktion zu verwenden. Aus der gegenwärtigen Repräsentationstheorie folgt, dass Sprachen als eine Art von Theoriepaketen aufzufassen sind, die sich auf Fakten in der Welt beziehen. Das ist offensichtlich eine Position, die der Sicht von Platon und Aristoteles recht nahe kommt. Diese Beschreibung ist allerdings noch etwas oberflächlich. Die tiefere Frage ist, ob sich nach Willard Van Orman [141] Quine (1908–2000) und Donald Davidson (1917–2004) eine Möglichkeit finden lässt, diese Auffassung mit der Auszeichnung begrifflicher Analysen zu verbinden. Eine solche Möglichkeit kann nur so ausbuchstabiert werden, dass sich begriffliche Analysen auf eine spezifische Art von Fakten beziehen. An dieser Stelle wird heute gewöhnlich die Mögliche-Welten-Terminologie mobilisiert. Die allgemeine Idee ist zu sagen, dass eine Beschreibung B* aus einer Beschreibung B von Teilen der Welt folgen kann. Und dass B* aus B folgt, heißt genauer, dass in unserer Welt jedes Phänomen, das B wahr macht, auch B* wahr macht und dass in jeder möglichen Welt, die mit unserer
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