Armageddon 06 - Der nackte Gott
dann sind wir ipso facto bereits Götter.«
»Ich schätze, es ist alles nur eine Frage des Maßstabs«, sagte Joshua. »Götter bestimmen, was bei großen Ereignissen herauskommt.«
»Was hier geschehen ist, war ein ziemlich großes Ereignis.«
»Aber nichts im Vergleich zum Geschick einer ganzen Spezies.«
»Du nimmst das alles viel zu ernst«, sagte Liol.
Joshua lächelte nicht einmal. »Irgend jemand muß es schließlich ernst nehmen. Denk mal über die Konsequenzen nach.«
»Ich bin kein totales Arschloch, Josh. Ich weiß ganz genau, wie schlimm es wird, wenn niemand eine Antwort auf all das findet.«
»Ich dachte eigentlich eher daran, was geschehen wird, wenn wir Erfolg haben.«
Liols Lachen klang eher nach einem überraschten Bellen. »Wie kann das etwas Schlimmes sein?«
»Alles ändert sich. Die Menschen mögen das nicht. Man wird Opfer bringen müssen, und damit meine ich nicht nur physische oder finanzielle. Es ist unausweichlich. Sicher hast du auch schon daran gedacht?«
»Vielleicht«, antwortete Liol rauh.
Joshua blickte über die Schulter zu seinem Bruder und setzte sein verwegenstes Grinsen auf. »Aber du mußt zugeben, bis dahin ist es ein ganz schön wilder Ritt.«
Einer der Serjeants blieb bei Baulona-PWM und Quantook-LOU, um als Vermittler zu agieren, während sie bemüht waren, die Bedingungen eines neuen Vertrages auszuhandeln. Ein Triumph des Optimismus, dachte Ione, daß alle beide glauben, der Überlichtantrieb würde eine neue Ära unter den Scheibenstädten im Orbit um Mastrit-PJ einläuten. Es war offensichtlich, daß beide übereinstimmten, die verbliebene Tyrathca-Bevölkerung zu den Koloniewelten zu evakuieren. Ihre Enklaven in den Scheibenstädten würden nicht mehr expandieren. Diese Voraussetzung machte es nur noch wichtiger, daß die beiden Spezies sich nicht wieder überwarfen bei der Frage, wer Anspruch auf ein neues Sternensystem erheben durfte. Das Auffinden der Informationen über die Weltraumarchen war tatsächlich zu einer wesentlichen Voraussetzung für den Friedensvertrag geworden. Eine faszinierende Ironie des Schicksals. Jetzt mußte sie sich nur noch Gedanken machen über Quantook-LOUs Aufrichtigkeit. Was sie dazu veranlaßte, Baulona-PWM mehrere Sicherheitsklauseln vorzuschlagen, wie beispielsweise die Öffnung der Kommunikation zu allen verbliebenen Enklaven. Nicht, daß einer von ihnen wußte, wie viele noch verteilt auf den Scheibenstädten überlebt hatten. Quantook-LOU gestand freimütig, daß er nicht einmal genau wußte, wie viele Scheibenstädte es überhaupt gab.
Der zweite Serjeant begleitete eine Gruppe von sechs Brütern, die Baulona-PWM ausgewählt hatte, um die elektronischen Speicherbänke wieder zu aktivieren. Sie folgte ihnen zu dem Band dicker Türme, das sich um das eine Ende des Zylinders hinzog. Es war die Versorgungsregion von Lalarin-MG. In den Türmen waren Wasseraufbereitungsanlagen, Luftfilter, Fusionsgeneratoren (bestürzend primitiv, dachte Ione) und Wärmetauscher untergebracht. Glücklicherweise existierte jede der großen Maschinen wenigstens in zweifacher Ausfertigung, so daß eine gewisse Ausfalltoleranz gegeben war. Ein Drittel der Systeme war inoperabel, die Maschinen tot und beschlagen, ein Hinweis darauf, wie lange es her war, daß Lalarin-MG voll bevölkert war.
Ione wurde zu einem Turm geführt, den die Brüter als Kommunikationsstation bezeichneten. Das Erdgeschoß wurde von drei Tokamaks eingenommen, von denen nur einer arbeitete. Eine Rampe führte in einer weiten Spirale in den ersten Stock hinauf. Es gab keine Fenster, und die Deckenbeleuchtung arbeitete nicht. Iones Infrarotsensoren enthüllten die langen Reihen von Konsolen, die denen von Tanjuntic-RI sehr ähnlich sahen.
Die Tyrathca hatten tragbare Scheinwerfer mitgebracht, die jetzt aufgestellt wurden und den traurigen Zustand der gesamten Anlage enthüllten. Feuchtigkeit hatte Algenteppiche auf den Rosettentastaturen und Bildschirmen wachsen lassen. Verriegelungshebel für Wartungsklappen mußten aufgebohrt werden, um an das Innenleben zu kommen – das ausnahmslos von gummiartigen Flechten und Pilzen überwuchert war. Die Brüter mußten Kabel hinunter ins Erdgeschoß legen, um die Anlage hochzufahren.
Eine der Konsolen ging sogar in Flammen auf, als sie eingeschaltet wurde. Oski Katsuras Flüche hallten durch das allgemeine Kommunikationsband.
»Fragen Sie sie, ob wir unsere Prozessorblocks mit ihrem Netz verbinden dürfen«, sagte sie zu Ione.
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