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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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angepirscht. Sie spürte seine Worte als warmen Luftstrom an ihrem Hals, noch bevor seine Hände sich auf ihre Schultern legten. Bei seiner Berührung zuckte sie zusammen, doch dann musste sie doch lächeln. Behutsam entwand sie sich ihm. Im staubigen Streiflicht, das durch den Vorhangspalt fiel, zeichnete sich Finns rechte Gesichtshälfte scharf gegen den dunklen Hintergrund ab. Er war geschminkt, goldene, graue und schwarze Schattierungen gaben seinem sanften Gesicht die kantigeren Heldenzüge von Geron Sonnensohn, den er auf der Bühne verkörperte. Das glatt zurückgekämmte helle Haar verstärkte diesen Eindruck noch. Nur das Lächeln, Finns verschmitztes Lächeln, wollte nicht zu der tragischen Figur passen.
    »Los! Zur Bühne!«, befahl der Lichtmeister von oben.
    Finn kümmerte sich nicht darum.
    »Soll Bator doch warten«, raunte er Summer verschwörerisch zu. »Für einen Kuss haben wir alle Zeit der Welt. Also?«
    Als er sich vorbeugte, unterdrückte sie den Impuls, ihm auszuweichen. Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Versuch dein Glück bei Ana oder Charisse, Geron Herzensdieb.«
    Als sie flink zur Seite glitt und im Bogen an ihm vorbeieilen wollte, schloss sich seine Hand plötzlich um ihre rechte. »Kalte Hände, kaltes Herz«, flüsterte er mit der dramatischen Wehmut, die er auf der Bühne besonders gut beherrschte. Er überrumpelte sie damit, dass er ihre Hand an die Lippen zog und sie mit einer Sanftheit küsste, die Summer verharren ließ. »Eigentlich solltest du meine Wintergeliebte spielen, nicht Charisse. Dein Eis ist wenigstens echt.«
    »Hier ist doch gar nichts echt, Finn«, erwiderte Summer spöttisch und entwand ihm mit einer schnellen Drehung ihre Hand.
»Das hier ist nur ein altes Rumpelkammertheater aus dem letzten Jahrhundert. Du bist kein Held und ich nicht deine Geliebte. Aber spielen wir nicht alle stets die Rolle am besten, die uns am fremdesten ist?«
    »Autsch!« Er grinste. »Na, freu dich nicht zu früh, heute küsse ich dich!«
    »Und hoffentlich haut Summer dir dafür eine runter«, fuhr Mort ihn an. »Mach, dass du auf die Bühne kommst oder ich treibe dich mit der Ochsenpeitsche raus!«
    Auf Morts Wink wurde das Licht im Zuschauerraum dunkel. Das Publikum verstummte schlagartig und die Bühne erstrahlte im knatternden Licht des alten Filmprojektors, der einen schwarzweißen Himmel auf die Leinwände zauberte. Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge. Über der Bühne setzte sich die hölzerne Sonne in Bewegung und sank von unsichtbaren Seilen gezogen dem Boden entgegen. Summer wusste, dass die beiden Männer, die dafür zuständig waren, die beiden Sonnenstiere auf die Bühne zu treiben, jetzt zu schwitzen begannen. Flötenmusik setzte ein, überlagerte das Stampfen der Stierklauen. Die klagende Melodie untermalte den Sonnenuntergang.
    Summer wich gerade noch rechtzeitig zurück, bevor der Vorhang aufschwang, und beeilte sich, zu den anderen hinter die Kulisse zu kommen. Draußen begann der Rezitator die Geschichte von König Licht zu erzählen, der mit seiner Sonnenkrone auf dem Haupt nach einer Schlacht vom Himmel stürzte.
    Charisse, die Gerons Wintergeliebte verkörperte, stand beim Schneekatzenkäfig und stimmte die Tiere auf sich ein. Sie hielt das Bündel toter Tauben weit von sich, um ihr helles Kostüm nicht mit Tierblut zu beschmutzen, und fütterte die Katzen mithilfe des Hakenstocks an - genug Futter, um die größte Gier der Raubtiere
zu stillen, aber zu wenig, um sie satt und träge werden zu lassen. Als Summer in einem möglichst großen Bogen an ihr vorbeieilte, blitzte Charisse ihr ein schnelles Lächeln zu, dann war sie wieder ganz bei den Tieren. In ihrem silberweißen Kostüm wirkte sie noch heller und durchscheinender als sonst. Eine schlanke Frau mit unglaublich langen Beinen, die durch den geschlitzten Rock besonders gut zur Geltung gebracht wurden. Weißer Pelz schmiegte sich an ihr Kinn und betonte Augen in der Farbe von Lapislazuli. Natürlich war diese Farbe nicht echt - ebenso wenig wie das lichtlose Schwarz ihres Haars. Wer im Theater der Nacht arbeitete, musste bereit sein, mit Haut und Haaren jemand anderes zu werden.
    »… in die Umarmung von Lady Tod sank König Licht«, fuhr der Rezitator fort. »Hinab in die Unterwelt, die darauf lauerte, das Feuer seiner Sonnenkrone auszulöschen …«
    Das war das Stichwort für die fünf Panther, die nun auf die linke Nebenbühne getrieben wurden, wo sie auf die beiden Stiere treffen würden.

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