Ascheherz
Summer genoss diesen Anblick. Immer noch verwundert spürte sie diesem neuen Rhythmus von Werden und Vergehen
nach - jeder Augenblick eine Blüte, die aufging, welkte und ihr nur als Erinnerung blieb. Und es ist gut so . Wenn ich noch einmal die Wahl zwischen Leben und Tod hätte, ich würde immer das Leben wählen.
Bald ließen sie den Eisgürtel hinter sich und erreichten das freie Wasser. Summer fröstelte und zog die Schultern hoch, als ein Windstoß ihr in den Kragen fuhr. Loved trat von hinten an sie heran und legte seine Arme um ihre Taille. »Frierst du wieder, Frostfee?«
»Und wie! Wie hast du das dein ganzes Leben nur ausgehalten?«
Er lachte. »Ich habe ein dickes Fell. Und ich bin in einer Zeit geboren worden, als man die Kälte ertrug oder zugrunde ging.« Sein Atem an ihrer Wange schickte ihr einen Schauer über die Haut.
»Denk einfach an einen Ort, an dem die Sonne scheint«, raunte er ihr zu. »In Maymara verkaufen sie auf dem Markt schon die ersten Orangen aus dem Süden. Und wenn wir von der Stadt der Masken genug haben und es uns dort auch zu kalt ist, fahren wir einfach noch weiter bis zu den Südinseln. Dort ist niemals Winter. Los, mach die Augen zu und stell dir einen Sommerhimmel vor.«
Summer lehnte sich gegen ihn. Und plötzlich war ihr tatsächlich nicht mehr ganz so kalt. Da war der Glücksfunke in ihrer Brust, der sie wärmte, und der Puls ihres gestohlenen Lebens.
»Es ist spätnachts«, spann er seine Geschichte weiter. »Alles schläft. Nur noch die Liebespaare und die Diebe sind unterwegs. Und jetzt schau nach oben. Und? Kannst du ihn schon am Himmel sehen? Den Südstern?«
»Ich sehe uns beide«, antwortete sie. »An einem Inselhafen. Es ist Nacht, aber der Stein unter unseren Füßen ist noch warm vom
Tag. Wir sind barfuß, jemand spielt auf einer Gitarre. Und wir tanzen.«
Er lachte leise, dann legte er die Arme um ihre Brust und rieb ihre Oberarme, um sie zu wärmen. »Ein ganzes Leben lang, Summer. Und falls du mir eines Abends wieder einmal wegläufst, suche ich einfach dort, wo die Musik spielt.« Er küsste ihre Schläfe, und während sie die Augen immer noch geschlossen hielt, sang er halb flüsternd, halb lächelnd ein Lied aus ihrer Vergangenheit:
Liebte dich
unbewusst,
heimlich,
leise,
auf meine
mir damals
noch fremde
Weise,
liebte dich
körperlos,
dein Lachen,
dein Haar,
liebe dich
grundlos
und
immerdar.
Ein herzliches Dankeschön an Manfreda Bendrien, aus deren wundervollen Liebesgedichten ich mit ihrer Erlaubnis zitieren durfte. Folgende Fragmente, die ich meinen Figuren in den Mund gelegt habe, stammen von ihr:
»Kalter Atemhauch der Realität …«
»Ich singe nicht mehr im Dunkeln …«
»Trugst mit dir fort den Teil …«
»Du hattest den Blütenstrauß …«
»Liebte dich unbewusst, heimlich, leise …«
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1. Auflage 2011
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe
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