Ascheherz
Wochen hinter ihr lagen. Sie lächelte nicht, als sie zu Summer und Loved trat, sondern hob nur eine Augenbraue.
»Freut mich, dass du heute zur Abwechslung mit dem Freund vom letzten Mal hier auftauchst«, bemerkte sie. »Das ist also der Mann, der dir in Maymara die Kehle durchschneiden wollte.«
»Derselbe Mann, dem du eine Kugel in den Arm gejagt hast«, erwiderte Loved ebenso kühl.
»Hat dir offenbar nicht geschadet. Zumindest hat es dich nicht davon abgehalten, mich in Lord Teremes’ Lager niederzuschlagen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, warst du gerade dabei, dein Gewehr durchzuladen und auf Summer zu zielen«, konterte Loved ungerührt.
Jetzt zuckte ein Lächeln um Moiras Mundwinkel.
»Du hast eine Schwäche für schlagfertige Männer, was?«, sagte sie zu Summer und winkte ihr zu, ihr zu folgen. »Viel Platz haben wir nicht«, rief sie über die Schulter. »Sucht euch selbst einen Schlafplatz bei den Kisten.«
Summer folgte Moira in die Kajüte unter Deck. Dort zog sie die Waffe aus der Tasche und hielt sie Moira hin. Moira nickte und steckte die Pistole ohne zu zögern ein.
»Wohin geht eure Reise?«, fragte sie und fuhr damit fort, kleinere Kisten und Gepäck unter den Sitzbänken zu verstauen.
»Nach Maymara.«
»Aha. Romantische Erinnerungen an den Überfall in der Gasse
wiederbeleben? Nein, im Ernst, was willst du dort machen? Wirst du wieder Schauspielerin sein?«
»Vielleicht.« Beim Gedanken an Mort und die anderen spürte sie wieder dieselbe Aufregung wie vor einigen Tagen, als sie mit Loved beschlossen hatte, zurückzukehren. »Ich hoffe sehr darauf, einige Freunde wiederzusehen. Und du? Reist du wirklich wieder in deine Stadt?«
»Wohin sonst?« Und diesmal täuschte auch Moiras sachlicher Ton nicht über die Sehnsucht in ihrer Stimme hinweg.
»Was wird aus … den Kämpfen hier? Aus den Unsterblichen, deren Zorya Indigo getötet hat?«
Moira seufzte schwer. »Das liegt nicht mehr in unserer Hand. Ich habe meinen Teil getan. Das Menschenmögliche, wenn du so willst. Der nördliche Teil und die Zitadelle stehen unter zentraler Verwaltung, wir haben einen Rat gebildet, und Lord Teremes’ Nachfolger scheint seine Sache bisher gut zu machen. Die Parteien haben Friedensverträge und Abkommen geschlossen. Alles Weitere wird sich zeigen. Tja, und was das andere angeht - das ist Lady Mars Problem. Die Unsterblichen zu besiegen, ist nicht die Aufgabe von uns Menschen.«
»Es gibt keinen Sieg«, widersprach Summer. »Und keine Niederlage. Es gibt nur das Gefüge der Welt.«
»Willst du mir wieder erzählen, dass der Tod nicht grausam ist?«
»Ist das Leben weniger grausam?«, ereiferte sich Summer. An dem Grinsen, das die Kriegslady ihr nun zublitzte, erkannte sie, dass Moira sie nur aufzog.
»Wollen wir uns wieder streiten, Prinzessin?«
»Bist du mir nicht noch eine Erklärung schuldig? Warum hast du mir in der Zitadelle geholfen, obwohl du doch Lady Mar so verachtest?«
»Ach das?«, sagte Moira leichthin. »Ich würde dir ja gerne sagen, dass deine Ansprache mich restlos überzeugt hat. Aber die Wahrheit ist ziemlich unspektakulär. Du hast mich einfach an jemanden erinnert. An ein Mädchen, das ich kannte. Sie lebte in meiner Stadt. Ich habe sie während des Krieges kennengelernt, den Lady Mar um meine Stadt führte. Sie hieß Jade und sie hat ihren Feind geliebt, einen Jungen, der in Lady Mars Diensten stand. Auch ein Nordländer übrigens, genau wie der aufbrausende Kerl, an den du dein Herz verloren hast. Nach dem Krieg hat sie mit ihrem Freund zusammen die Stadt verlassen. Fast neun Jahre ist das jetzt her. Seitdem habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Nun, jedenfalls, um zu dir zurückzukommen: Du bist zwar nicht halb so großmäulig wie sie. Und bei Weitem nicht so rebellisch. Wo sie wild war, wartest du erst einmal ab. Sie war nicht annähernd so talentiert darin, sich zu verstellen. Aber ähnlich seid ihr euch doch. Und sowohl ihre als auch deine Geschichte haben mir wieder einmal etwas bewusst gemacht. Manchmal muss man den Feind tatsächlich umarmen, um ihn zu besiegen.«
»Zum letzten Mal, ich habe Indigo nicht besiegt .«
Moira lächelte und zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Aber ich habe dich umarmt.«
Möwenschreie vermischten sich mit dem Motorengeräusch und das Eis schabte an den Außenwänden, als das Motorboot sich durch den zerbrochenen Eisgürtel auf das freie Meer zuschob. In der Wintersonne glitzerten die Bruchkanten der Platten in luzidem Eisgrün.
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