Aschenpummel (German Edition)
Plüschpatschen im Treppenhaus und wollte Grundsatzdiskussionen führen.
»Mama –«
»Komm mir nicht mit Mama. Seit du da oben alleine wohnst, weiß ich gar nicht mehr, was du den ganzen Tag tust.«
»Ich war arbeiten, Mama.«
»Länger als sonst.«
»Ich hab nur ein bisschen länger gebraucht, weil ich zu Fuß nach Hause gegangen bin.«
»Ha! Sie vergnügt sich, während ihre alte Mutter einsam ist und ihr weiß Gott was passieren kann. Was, wenn mich eine rumänische Einbrecherbande überfallen hätte?«
»Mama, ich hab doch gesagt, du sollst nicht immer die Jetzt lesen.«
»Die einzige Zeitung, die es in Wien gratis gibt, und meine Tochter verbietet sie mir. Und das, nachdem ich meine beiden Mädchen alleine großgezogen, keinen Schilling Unterstützung von eurem Vater erhalten habe und noch jetzt jeden Groschen, den ich besitze, in euch stecke. Da gestatte deiner Mutter doch bitte die Lektüre einer Gratiszeitung.« Gekonnter Griff an die Brust. »Mama wird noch sterben aus Gram über dich.«
»Mama –«
»Scht!«, befahl meine Mutter. »Geh! Lass mich doch allein. Ich will dich nicht mehr sehen.«
»Ja, Mama.« Ich huschte zur Wendeltreppe.
Tür Nummer drei knallte zu. Von innen hörte ich meine Mutter: »Und wehe, du bist am Sonntag nicht pünktlich!«
Mein eigenes Reich. Vier Stockwerke über meiner Mutter. Zwei Zimmer ganz für mich allein.
Ich hatte die Wohnung vor vier Jahren gemietet. Trotz des Versprechens, das ich Mama gegeben hatte. Sie nie, nie, niemals alleine zu lassen.
Einen Tag bevor ich achtzehn wurde, zog meine Schwester Tissi aus. Mama weinte vierundzwanzig Stunden durch. Ich begriff sehr wohl, dass sie daher keinen Nerv hatte, an meinen Geburtstag zu denken, doch ich wollte sie aufheitern, wollte ihr zeigen, dass das Leben weiterging und kaufte trotz allem einen Kuchen und ein paar Kerzen.
Als ich die Kerzen anzündete, schluckte Mama Schlaftabletten. Vier Stück auf einmal. Zum Glück direkt vor meinen Augen. Niemand weiß, ob sie sonst überlebt hätte. Im Krankenhaus meinten sie zwar, in der Regel bräuchte es schon mehr als vier Stück, um jemanden von Mamas Konstitution umzuhauen, aber ich war trotzdem fürchterlich geschockt. Und natürlich versprach ich ihr, sie nie, nie, niemals im Stich zu lassen. Solange ich lebte. Tissi mochte gehen und kommen und wieder gehen wie sie wollte, aber auf mich durfte Mama sich verlassen.
Und das durfte sie tatsächlich. Die nächsten zehn Jahre lang. Bis ich die Enge in Hals, Brust und Wohnung nicht mehr aushalten konnte. Da hatte ich dann die Wohnung im fünften Stock gemietet. Heimlich. Ohne dass Mama je davon erfahren sollte.
Was sie auch nicht tat. Die nächsten dreieinhalb Jahre lang. Ich erzählte ihr, dass Hans beschlossen hatte, den Schuhladen bis halb acht geöffnet zu lassen – und genoss die tägliche halbe Stunde Freiheit in meiner Wohnung im fünften Stock. Damals konnte ich mich noch an Tür Nummer drei vorbei schleichen, ohne bemerkt zu werden.
Natürlich war es ein Riesenspektakel gewesen, als sie mir auf die Schliche gekommen war.
»Thaddäa! Was hat Frau Zenz aus dem fünften Stock mir wohl berichtet?«
»Ich … ich weiß nicht, Mama.«
»Ich kann es nicht glauben, dass mein eigenes Kind mich derart hintergeht! Mein Herz! Es fühlt sich plötzlich ganz schwach an. Wahrscheinlich brauche ich ein künstliches. Du bist schuld, Thaddäa, wenn sie mir ein Schweineherz einsetzen. Ich will kein Schweineherz in der Brust! Hast du jemals daran gedacht, was die Leute sagen werden, wenn sie erfahren, dass ich ein Schweineherz – oh Gott, hast du auch nur einmal an mich gedacht, Thaddäa?«
»Mama –«
Viermal war die Rettung mit Blaulicht und Sirene gekommen und hatte eine Halbtote ins Krankenhaus gebracht. Viermal hatte ich am Krankenbett gesessen und mich »Mörderin« schimpfen lassen.
Ich habe als Kind oft darüber nachgedacht, ob mein Vater uns verlassen hat, weil meine Mutter so erstickend klammerig war, oder aber, ob sie so geworden war, eben weil er sie mit zwei kleinen Kindern sitzen gelassen hatte.
Tissi war naturgemäß anders mit dem Verrat des Vaters und der Reaktion unserer Mutter umgegangen. Die kleine Prinzessin, von Geburt an hübsch und begabt, hatte mir die Schuld an der ganzen Misere gegeben: Weil Thaddäa so ungeschickt ist, hat Papi sich ärgern müssen. Er wollte sie nie wieder sehen, drum ist er weg. Mami ist Thaddäa böse deswegen.
Und die ungeschickte, bebrillte Thaddäa hatte die
Weitere Kostenlose Bücher