Aschenputtelfluch
war ganz und gar nicht so, wie Mammi sich das vor gestellt hatte.
Um sich selbst zu beruhigen – ICH machte mir schließ lich keine Sorgen – , hatte sie mir die letzten Tage mindes tens hundertmal erklärt: »Gott sei Dank bist du nicht allein in einem Zimmer. Da ist noch ein Mädchen, das wird dir helfen, du kannst sie fragen, wenn du etwas nicht verstehst. Da hast du gleich eine Freundin!«
Besser, ich erzählte ihr nichts von Meg, wenn sie sich am Telefon nach meiner Zimmergenossin erkundigte.
Automatisch griff ich nach dem Handy, um zu sehen, ob sie nicht inzwischen schon hundertmal angerufen hatte.
Meg warf dem Telefon in meiner Hand einen miss trauischen Blick zu. »Kaum hier und du erwartest schon ei nen Anruf? Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder dein Freund – oder . . .«, sie zog spöttisch eine Augen braue in die Höhe, »die besorgte Mama. Egal, am besten, du legst gleich ein Schweigegelübde ab. Was hier in die sen Mauern passiert, geht draußen niemanden etwas an.«
Mein Handy meldete fünf Anrufe. Ich rief die Mailbox auf.
Meg packte ihren Waschbeutel und ein Handtuch.
»Dein Freund?«
Den Hörer am Ohr, schüttelte ich energisch den Kopf.
»Also Mami!«
Seufzend nickte ich.
Sie stieß verächtlich Luft aus.
Per mortes eorum vivimus.
Der Spruch prangte über dem mächtigen Eingangspor tal, umrahmt von in grauen Stein gehauenen Vögeln, die auf den Schultern eines Heiligen saßen.
Per mortes eorum vivimus.
Wir leben für die Toten.
Ich schritt den Gang entlang und stellte mir vor, dass die Steinplatten seit Jahrhunderten von den Füßen unzähliger Mönche und Kirchgänger blank gescheuert worden wa ren. Durch die hohen schmalen Fenster fielen Sonnen strahlen und strahlten dunkle Fresken an. Kalt und unge mütlich war es hier im Innern der Kirche, die nun als Aula diente, dennoch fühlte ich mich wie erschlagen. Nicht nur von dem gigantischen Deckengewölbe, sondern auch von der Menge von Schülern, die nun in ihren Uniformen in den Saal strömten. Hunderte von Stimmen vermischten sich mit den schrillen Klängen des Orchesters, das vorne auf der Bühne die Instrumente stimmte.
Meine schwarzen Kniestrümpfe kratzten.
Die schwarzen Lackschuhe am großen Zeh drückten.
Und die neue weiße Bluse fühlte sich so störrisch an, als hätte sie etwas gegen mich.
Dennoch dachte ich nur: Super! Einfach super!
Wozu hatte ich schließlich wochenlang an der Tankstel le gejobbt? Doch nur um mir dieses Outfit in dreifacher Ausführung leisten zu können!
»Zu Hause«, hatte Mammi gesagt und sich die grauen Haare gerauft, »zu Hause hast du es doch so bequem!«
»Klar, Mammi, aber bequem – das ist nicht das, was ich mir vom Leben wünsche!«
»He, du stehst im Weg!« Im nächsten Moment erhielt ich von hinten einen Stoß in den Rücken und stolperte einige Schritte nach vorne. An mir vorbei drängte sich ruppig ei ne Gruppe jüngerer Schüler.
Hinter ihnen erschien Pink. In der Schuluniform hätte ich sie fast nicht erkannt. Sie war in Begleitung von Miss Pagenkopf, dem Mädchen, das aussah, als hätte sie eine Papiertüte auf dem Kopf. Wie war ihr Name? Beatrix!
Ich nahm allen Mut zusammen. »Hallo . . . Nora . . .«
»Wage es nicht, mich jemals mit diesem Fuck-Namen an zusprechen, den meine Mutter mir verpasst hat. Ich bin Pink, okay! Das wirst du dir wohl merken können.«
»Entschuldige, Pink, gibt es hier eine feste Sitzordnung? Oder wo soll ich mich hinsetzen?«
»Auf deinen Hintern, da ist Platz genug«, erklärte die Pa piertüte.
»He Trixie, pass auf, die steht unter dem persönlichen Schutz des Prinzen«, erklärte Pink.
»Ehrlich?« Trixie musterte mich neugierig.
»Du weißt doch«, Pink grinste. »Nikolaj steht auf un schuldige Novizinnen.«
Die beiden lachten und Trixie deutete nach links. »Da vorne, sechste Reihe links, sitzen die Zehntklässler. See you later!« Sie winkten mir zu.
Ich ging den Gang nach vorne und schob mich links in die sechste Reihe.
Grölendes Gelächter.
»Aha, da steht jemand auf uns!«
»Genau, die ist sexsüchtig.«
Scheiße, die beiden hatten mich hereingelegt. Auf der linken Seite saßen ausschließlich Jungs. Es dauerte eine Weile, bis ich in dem grauen Anzug neben mir Bastian, den Womanizer, erkannte und daneben Indi, der nervös an der Nagelhaut seines Daumens kaute. Danach folgte ein Junge, der mit seiner Größe die ganze Reihe überragte. Seine langen, schlaksigen Glieder wirkten zu seinem kleinen Kopf irgendwie
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