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Aschenputtelfluch

Aschenputtelfluch

Titel: Aschenputtelfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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»Nichts passiert.«
    Aber nichts dergleichen geschah! Wie auch?
    Kiras einst blaue Augen waren zu schwarzen Höhlen ge worden, zu unheimlichen Türen, die in ein Inneres führ ten, das ein Geheimnis verbarg.
    »Die ist tot!« Sonjas Stimme – plötzlich neben mir – war nur noch ein Wimmern. »Meinst du, sie ist gesprungen? Von dort oben?« Sie starrte zu dem hölzernen Glocken turm auf dem hinteren Teil des Kirchendaches.
    Jemand war tot, den ich kannte, wenn auch nur flüchtig. Ich sah Kira vor mir, mit ihrer langen blonden Haarmähne und wie sie im Bus so überirdisch ernst aus dem Fenster gestarrt hatte. Ihr mitleidiger Blick, als sie mich dann an gesehen hatte.
    Hatte Kira in diesem Moment bereits gewusst, was sie tun würde? Konnte man mit solchen Gedanken im Kopf so ruhig bleiben? Würde man nicht schreien? Um sich schla gen?
    Ich glaube, mir würde es so gehen. Nein, ich weiß es.
    Geflüster setzte ein. Wie ein plötzlicher Windstoß fuhr es durch die Menge und verbreitete die Nachricht. Tot! Ein Unfall! Nein! Sie ist gesprungen!
    Ich sah mich um und versuchte, den Sätzen Gesichter zuzuordnen.
    Trixie und Pink klammerten sich aneinander und hielten sich an den Händen. Hinter ihnen Danny, Bastian und Indi. Letzterer hatte die Arme verschränkt, die Hände unter die Achseln gesteckt und hielt den Kopf gesenkt. Und ganz hinten, unter dem Ahornbaum, lehnte Meg und steckte sich eine Zigarette an. Sie starrte in den Himmel, als er warte sie jeden Moment den ersten Blitz. Aus der Ferne schien es, als ob sie am ganzen Körper zitterte.
    Ich ging zu ihr hinüber.
    »Es ist Kira, oder?« Sie nahm einen tiefen Zug.
    Ich nickte.
    »Wie sieht sie aus?«
    »Schau selbst.«
    Sie schüttelte entschieden den Kopf. Wieder nahm sie einen Zug, lachte kurz auf – mir lief ein Schauer über den Rücken – und dann flüsterte sie etwas, so leise, dass ich nicht sicher war, ob ich es richtig verstand: »Diese Idiotin. Diese gottverdammte Idiotin! Das hat keiner gewollt!«
    Ich wollte sie fragen, was sie damit meinte, doch nun lief eine der jüngeren Lehrerinnen durch die Reihen. »Geht zu rück in die Aula! Hier gibt es nichts zu sehen!«
    »Sie wollen wieder einfach zur Tagesordnung überge hen.« Meg warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. »Wie immer!«
    »Wer ist das?«
    »Sport. Krassnitzer. Hat durchgesetzt, dass hier an der Schule Sport als Versetzungsfach gilt. Weißt schon. Mens sana in sana corpore.«
    »Mens sana in corpore sano«, verbesserte ich automa tisch.
    »Egal. Jedenfalls gehört sie zur Partei Gesunder Geist in gesundem Körper. Körperliche Betätigung an frischer Luft. Ich mag Sport, aber die Krassnitzer ist worst case für Sportmuffel. Was ist mit dir, bist du sportlich?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Geht so«, sagte ich auto matisch. Nicht nur die Lehrer, auch Meg schien zur Tages ordnung überzugehen.
    Langsam leerte sich der Schulhof. Nur noch die älteren Schüler blieben und mir fiel etwas auf. »Niemand weint. War sie nicht beliebt?«
    Meg zuckte mit den Schultern. »Sie war sensibler, als gut für sie war. Und die anderen hatten sie auf dem Kieker, weil sie auf ein Stipendium angewiesen war.«
    »Versteh ich nicht.«
    »Das ist doch klar. Sie war das Aschenputtel, Cinderella, verstehst du. Klar, die Lehrer lieben Typen wie dich und Kira. Ihr seid freiwillig hier, aber das ist nicht bei allen so. Schon gar nicht bei den Schülern, deren Eltern zu viel Koh le haben, wie bei Pink. Die müssen ins Internat, weil man ihnen hier das Wissen in den Arsch schiebt. Oder weil ihre Eltern sie einfach nur los sein wollen. Und manche hätten besser erst gar keinen Nachwuchs in die Welt gesetzt, weil sie nämlich gar keine Zeit haben, wie . . .«
    Meg brach ab und starrte über meine Schulter. Ich dreh te mich um. Nikolaj überquerte den Schulhof. Im Gehen streifte er die graue Anzugjacke seiner Uniform ab.
    »Was hat er vor?«, fragte ich.
    Aber Meg antwortete nicht. Ihr Blick folgte ihm wie ge bannt, als er, ohne nach rechts oder links zu sehen, direkt auf die reglose Gestalt am Boden zulief.
    Nun stand er vor Kira. Einer der Lehrer versuchte, ihn zu rückzuhalten, doch er schüttelte die Hand einfach ab, bückte sich, sah Kira einige Minuten an, strich mit den Fin gerspitzen über ihre Augen und dann breitete er vorsich tig, fast zärtlich, seine Jacke über ihr Gesicht. Anschlie ßend ging er ruhig zurück Richtung Aula.
    Das Wunder war, der größte Teil der Schüler folgte ihm.
    Er hat

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