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Atlan 07 - Illochim 01 - Das Relikt der Macht

Atlan 07 - Illochim 01 - Das Relikt der Macht

Titel: Atlan 07 - Illochim 01 - Das Relikt der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Karbongewebe waren prallvoll. Li nahm die Brille vom Lenkgestänge, putzte sie mit abwesenden Bewegungen und schob das Band über den Ansatz seines Zopfes. Dann schwang er sich auf den Doppelsitz, startete die Antigravelemente und die Turbine. Zitternd, ruckend und jaulend hob sich das schmale Gerät senkrecht in die Höhe, drehte sich um neunzig Grad und fegte mit zunehmender Geschwindigkeit schräg abwärts, nach Nordosten und auf Kunshun zu.
    Tristan Li vermied die leitstrahlgestützten Luftpfade der Gleiter, steuerte in verwegenen Kurven, vom Fahrtwind umheult, auf die Gruppe Robotbaukräne zu, die jenseits »seines« Viertels in die Höhe wuchsen. Überall wurde abgerissen, gebaut, renoviert und verschönert. Nur nicht in Kunshun. Li orientierte sich kurz und fasste sein Ziel ins Auge; der Baucontainer auf dem Dach des Wohnturms am nördlichen Rand Kunshuns. Li bremste die Geschwindigkeit ab, visierte den freien Platz zwischen den Eimern und Kästen an, in denen Pflanzen und Bäumchen wucherten, und landete vor dem Eingang des Containers.
    »Ich bin’s, Tristan. Hab dir etwas mitgebracht. Wasser und Essen.«
    Aus dem dämmerigen Inneren des länglichen Kastens, dessen Wände trotz des Rostes mit verschiedenen Farblacken wild bemalt waren, kam eine gebückte, schmächtige Gestalt auf ihn zu. Der Mann war in eine blaue Kombination gehüllt, die um seine hageren Glieder schlotterte. Li wusste, dass Diogén da Odysseus Vinci einen großen Vorrat solcher Kombis in allen Farben und mit vielen unterschiedlichen Aufdrucken, Schriften und Logos besaß. Diogén, unbestimmbaren aber hohen Alters, trug einen langen weißen Kinnbart, in den er einen Knoten geschlungen hatte; sein Kopf war haarlos, und seine roten Arkonidenaugen versteckte er hinter einer Sonnenbrille.
    »Danke«, rief Diogén und stach mit dem Zeigefinger der Linken senkrecht in den Himmel. Li begann die Satteltaschen der Jet zu leeren. »Nicht viele von euch denken an mich. Gibt es neuen Ärger?«
    »Wir rechnen damit, schon bald«, gab Li zurück und nickte. Diogén bezeichnete sich als vielgewanderten Mystiker und lebte ohne Bedürfnisse schon so lange in seinem zerbeulten Gehäuse, dass niemand sagen konnte, wann er damit angefangen hatte, »Menschen zu lesen«. Li wusste, dass Diogén ununterbrochen auf einen alten Holoprojektor starrte, auf dem nichts anderes zu sehen war als Meereswellen, Ebbe und Flut, Brandung und Schaumkronen. Er wuchtete einen Sechserpack Trinkwasserflaschen vor Diogéns Eingang und sagte: »Hast du einen klugen Spruch für mich, Diogén?«
    Der Alte nahm die dunkle Brille ab, die Falten in seinen Augenwinkeln wurden schärfer. Sein schmales Gesicht verzog sich zu einem prophetischen Grinsen.
    »Ich hab immer einen Spruch. Merk ihn dir.« Er senkte seine Stimme und deklamierte bedeutungsvoll: »›Höret mich jetzt, ihr Kämpfer von MEINLEID, was heut ich euch sage: Eure Häupter umschwebt ein schreckenvolles Verhängnis!‹ In ein paar Tagen weiß ich mehr.«
    Angeblich zitierte er einen uralten Text aus der terranischen Sagenwelt. Niemand wusste, ob Diogén Terraner oder Arkonide war, und wie er hierher gekommen sein mochte. Er schien in Kunshun jeden und alles zu kennen; niemand belästigte ihn. Tristan hob grüßend die Hand, schob die Brille vor die Augen und stieg in den Sattel seiner Jet. Zwischen den Dachkanten und Häuserwänden, vorbei an riesigen, aufgesprühten Lettern – LASST KUNSHUN LEBEN … MEINLEID WIRD ES EUCH ZEIGEN … VERHINDERT DIE STRASSE DER IMPERIALISTEN – kurvte er auf seine Behausung zu. Die Worte Diogén da Odysseus Vincis hatten ihn nachdenklich gemacht und viele böse Ahnungen geweckt.
    Li bewohnte in einem 33-stöckigen Gebäude der Mailo Road, das die Stadtverwaltung als nicht mehr sanierbar deklariert hatte, eines der obersten Apartments. Mit untrüglicher Sicherheit umrundete er einige höhere Gebäude, bremste sein bockendes Fluggerät ab und hielt es über der Terrasse an. Dann senkte er es ab und landete zwischen löchrigen Gartenmöbeln, einem zerschlissenen Sonnenschirm und halb verdorrten Gewächsen, die aus einem wüsten Sammelsurium verschiedener Behälter herauswucherten.
    Li klappte den Ständer seitlich aus, kettete das Gerät an und schritt über brüchige Bodenkacheln zur Terrassentür. Die Luft in seiner Wohnstätte, unbewegt und dumpf, erinnerte ihn daran, dass er sich seit mindestens einem Monat vorgenommen hatte, aufzuräumen und zu putzen. Er riss die Glastür bis zum

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