Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
1. KAPITEL
Isabel Morrison hatte sich verfahren. Auf der Suche nach den Weinbergen Monte Verde kurvte sie nun seit Stunden über staubige Straßen. Hier draußen auf dem Land gab es überhaupt keine Hinweisschilder, und der kleine Fiat, den sie gemietet hatte, war weder mit GPS noch mit einer Klimaanlage ausgestattet. Sie schmolz förmlich in der Septemberhitze. Natürlich hatte sie gelesen, dass es in Sizilien heiß war, aber von dieser Hitze hatte niemand etwas gesagt.
Kein Wunder, dass sie keinen Menschen traf, den sie nach dem Weg hätte fragen können. In dieser Mittagssonne liefen nur ein paar streunende Hunde und Engländer herum und genau eine Amerikanerin, die weit weg von zu Hause nach ihrem Stück des amerikanischen Traums suchte. Alles, was Isabel sich wünschte, was sie sich je ersehnt hatte, war ein eigenes Heim.
Das Haus sollte – wenn sie es denn je finden würde – der Ort für einen Neubeginn sein. Ein Ort, an dem sie endlich Wurzeln schlagen konnte, wo niemand wusste, welche Fehler sie in der Vergangenheit gemacht hatte. Ein Ort, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, denn auf diesem Weingut, dem Erbe eines Onkels, den sie niemals kennengelernt hatte, wollte sie Wein anbauen und verkaufen.
Als Baby war sie in Decken gehüllt in einem Korb und auf den Stufen eines Waisenhauses abgelegt worden. Auf einem Zettel, der am Korb befestigt war, wurden die barmherzigen Schwestern gebeten, sich um das Kind zu kümmern. Was diese nach bestem Wissen und Gewissen getan hatten. Von einem Onkel hatte sie nichts gewusst. Geschweige denn von seinem Leben in Sizilien oder von seinen Motiven, ihr ein Weingut zu hinterlassen. Aber anscheinend hatte er sich um sie gesorgt und ihr etwas vererbt. Und was für ein Erbe! Ein Haus für sie allein. Und nicht nur das, sondern obendrein noch Weinberge.
Sie hatte sich so gut es ging vorbereitet, bevor sie Amerika verließ: ein Dutzend Italienführer gelesen, Italienischunterricht genommen und einen Schnellkurs in Weinanbau belegt. Es gab ihr Sicherheit, wenn sie gut vorbereitet war und sich auf sich selbst verlassen konnte. Naivität und Vertrauensseligkeit hatten einmal dazu geführt, dass ihr Herz gebrochen wurde. Das sollte niemals wieder passieren.
Wenn sie jetzt nur endlich diese alte Villa und die wahrscheinlich arg vernachlässigten Weinberge Monte Verde finden würde, wäre sie im Geschäft. Sie würde sich einrichten, Reben anbauen und den Dessertwein Amarado produzieren, für den die Gegend früher berühmt gewesen war.
Nach der Karte, die der Anwalt, Signor Delfino, ihr gegeben hatte, sollte es gleich hier … da drüben … müsste es sein.
„Ich kenne jemanden, der Sie nächste Woche hinbringen kann“, hatte er angeboten.
„Haben Sie vielen Dank, aber ich kann nicht bis nächste Woche warten“, hatte sie geantwortet. Nächste Woche? Ihr ganzes Leben lang hatte sie auf einen Ort gewartet, der ihr Zuhause sein würde, da konnte keiner von ihr erwarten, sich noch einen Tag länger zu gedulden. Im Stillen hatte sie sich gefragt, ob er Zeit schinden wollte, denn er hatte versucht, sie zum Verkauf zu überreden, noch bevor sie das Gut gesehen hatte.
„Ich bin verpflichtet, Sie davon in Kenntnis zu setzen“, hatte er gesagt, „dass der Besitz sich in Folge von Vernachlässigung in einem desolaten Zustand befindet. Wenn Sie meinen Rat annehmen wollen …“ Er hatte sich vernehmlich geräuspert. „Verkaufen Sie das Anwesen an eine der eingesessenen Familien, eine, die Ihnen ein großzügiges Angebot macht. Ich kann die Details des Geschäfts für Sie abwickeln.“
Die Art, wie er das gesagt hatte, ließ darauf schließen, dass sie verrückt wäre, das Angebot abzulehnen.
„Richten Sie der betreffenden Familie bitte aus, dass ich ihr Interesse zu schätzen weiß, aber der Besitz steht nicht zum Verkauf.“ Egal wie viel sie bieten mochten, sie würde nicht verkaufen und herzlichen Dank, sie würde den Weg allein finden.
Auf der einen Seite der Straße rauschte ein Bach, gesäumt von Eukalyptusbäumen, auf der anderen Seite erstreckten sich goldene Weizenfelder und lange Reihen von Weinstöcken, an denen schwer die Trauben hingen. In der Luft lag ein würziger Duft: das Aroma der Eukalyptusbäume gemischt mit dem Geruch von Heu, das in der Sonne trocknet. Wenn sie nur wüsste, wie sie zu der Azienda gelangen sollte.
Ja, es war glühend heiß, und die Luft staubtrocken. Ja, sie hatte sich verfahren. Aber darüber hinaus war sie nervös, und
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