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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Mach mal. Jetzt, eine Woche später, war sie zurück. Lag allein im dunklen Zimmer und sprach nicht.
    Ich rannte hinaus und durchwühlte ihre Handtasche auf der Suche nach ihrem Kalender. Notiz- und Einkaufszettel flogen mir entgegen, während ich durch das zerfledderte Adressverzeichnis blätterte auf der Suche nach irgendwelchen Leuten in Paris. Drei Telefonnummern rief ich an. Unter der ersten Nummer meldete sich eine Männerstimme, die angab, Paule nicht zu kennen, bei der nächsten meldete sich ein Club oder Restaurant, der dritte Anruf klingelte ins Leere, bis ich den Hörer schließlich wieder auflegte. Bei dieser Nummer stand eine Adresse. Immerhin. Der wiegende Schritt von Pink Cloud versetzte mich in eine Lähmung, aus der ich mich gewaltsam reißen musste, um in den Mantel zu schlüpfen, die wichtigsten Dinge einzustecken, Skizzenblock, Stifte, Paules Adressbuch, Kreditkarte, und mich auf den Weg zum Bahnhof zu machen.
    Als ich mich von Paule verabschiedete, lag sie noch immer wie eine Tote auf dem Bett und starrte an das Stuckoval der Zimmerdecke, aus dem drei lose Lampendrähte hingen. Blau, braun, grün-gelb gestreift. Rasch zog ich die Tür hinter mir zu und verließ das Haus.
    Der Nachtzug nach Paris fuhr erst kurz vor Mitternacht. So setzte ich mich ins Bahnhofsbuffet, aß ein blutiges Steak und bestellte einen halben Liter Dôle dazu. Das erste Glas leerte ich auf einen Zug, schenkte nach, trank noch einmal aus und spürte, wie sich die Glaswollschicht einer dämmrigen Benommenheit auf meine Panik legte. Ich bestellte mehr Wein, kaute das Fleisch, zog irgendwann den Skizzenblock raus, kritzelte ein paar Nasen und versank in Gleichgültigkeit. Der Kellner hatte Schichtwechsel, Viertel vor zwölf, ich bezahlte und stürzte zum Zug. Im überheizten Waggon hüllte ich mich in meinen Mantel und schlief kurz darauf ein. Mehrmals schreckte ich hoch, als der Zug mit kreischenden Bremsen, sei es an einem Bahnhof, sei es auf offener Strecke, hielt, sich danach zögernd wieder in Bewegung setzte und rasch Fahrt aufnahm. In das Dunkel der Nacht waren ein paar Lichter und grell erleuchtete Bahnsteige gestreut. Der rasende Schub des TGV rieb am stehenden Schwarz der Nacht, Funkenflug vor dem Fenster, zähes Rinnen, schließlich Stillstand der Zeit. Die Spiegelung meines betrunkenen Gesichts im Fenster, dann wieder schwarz.
    Frühmorgens trank ich einen hastigen Kaffee in der Gare de l’Est und eilte durch den Sturzregen, den Mantel über dem Kopf, auf ein Taxi zu, an dessen Steuer ein hünenhafter schwarzer Mann saß. Schnell und ohne nachzudenken, begann ich mit dem Fahrer zu sprechen und hielt ihm Paules Adressbuch hin. Er nickte und fuhr los. Ganz Paris glänzte vom Regen. Das Taxi manövrierte durch den Morgenverkehr, passierte den Bogen von La Défense und bog schließlich in eine baumbestandene Vorstadtstraße ein. Ummauerte Villengrundstücke reihten sich lückenlos aneinander. Wir hielten in einer Straße, die wie ausgestorben dalag. Es hatte aufgehört zu regnen, ein modriger Friedhofsgeruch hing in der Luft, und zaghaft meldeten sich die Vögel wieder. Ich sah dem Taxi nach, wie es kleiner wurde, blinkte, abbog und verschwand. Vor mir eine efeubewachsene Mauer, ein eisernes Gartentor mit Rosenbogen und, hinter Bäumen versteckt, ein schiefergedecktes mehrstöckiges Haus, das trotz seiner Erker und Türmchen düster und abweisend wirkte. Dunkle Baumkronen, leises Rauschen, Vogelgezwitscher.
    Ich gab mir einen Ruck und öffnete das Tor. Geräuschlos schwang es auf und gab den Blick in den Garten frei, wo unter einer Trauerweide ein Fischweiher glitzerte.
    Mir schien, ein Mädchen läge bäuchlings auf den sonnenheißen Uferplatten, die schwarzen Pinselzöpfe sind ihm von den Schultern und ins Wasser gerutscht. Das zitternde Spiegelbild seines Gesichts verzerrt sich zur Fratze, wird von einem Goldfisch durchkreuzt, darunter schlingen in der Tiefe die Seerosen ihre schmierigen Stängel umeinander. Wie Konfetti rieseln Weidenblättchen durch die Thujaluft aufs Wasser und treiben in den Spiegelungen der Wolkenbänder.
    »Qui êtes-vous?« Eine hohe, gepresste Stimme. Auf der Freitreppe vor der Villa stand eine Frau mit gewaltigen Brüsten. Die Hände hatte sie in den Taschen ihrer Schürze geballt. Aus den Resten meines Schulfranzösisch klaubte ich zusammen, dass ich gekommen sei, um das Kind abzuholen. Afin de l’emmener. Ein Säugling, un nourrisson, würde vermisst, ich würde ihn wieder zu seiner

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