Auch Deutsche unter den Opfern
Urlaub beantragen, wegen derVersicherung. Was sie beantragen sollen, wenn sie wirklich mal in den Urlaub fahren wollen, aber keine Urlaubstage mehr übrig haben, weil sie sich so oft irgendwo vorgestellt haben, konnte man ihnen nicht sagen.
Ich aber sage: Nicht immer wehtun, wenn man kommt, dann würde man auch nicht immer erst kommen, wenn es wehtut.
Über dem Prophylaxesessel lief dann »Madagascar«, und ich konnte nichts dagegen sagen, denn als der Film begann, hatte ich schon zwei Schläuche und einen Sandstrahler im Mund, es schien sich weniger um Prophylaxe als um Denkmalpflege zu handeln. Na, jedenfalls schätze ich Zeichentrickfilme nicht sehr, aber es rührte mich doch, wie das Zebra dem Löwen gegenüber wehmütig bilanzierte, nach Vollendung seiner ersten Lebenshälfte wisse es noch nichtmal, ob es nun schwarz mit weißen Streifen sei oder weiß mit schwarzen Streifen. Als es dann weiter, von Abenteuer zu Abenteuer galoppierte, sah man, dass es einen durchgängig weißen Bauch hat, also als weiß mit schwarzen Streifen bezeichnet werden muss. Das hätte ich dem Zebra gern gesagt, beziehungsweise fand ich, die Eichhörnchen hätten ihm das von da unten aus ruhig mal mitteilen können. Und da merkte ich, jetzt haben sie mich: Jetzt beziehe ich tatsächlich Position in Zeichentrickdramen! Oder sollte ich gar mittels dieser Schwarz/Weiß-Überlegungen subtil zum Gebrauch einer elektrischen Zahnbürste animiert werden? »Animationsfilm« wird dieses Genre doch genannt, seit das bunte Treiben nicht mehr Trickbild für Trickbild von Hand auf Papier, sondern mittels Computer hergestellt wird.
Mittlerweile ist es fast schon dunkel – und in einer Stunde darf ich wieder was essen und Heiner Geißler bei seinen Ermittlungen zuschauen.
Zwischen den Zeiten, zwischen »danach« und »davor«, also beispielsweise nach den Wahlen, aber deutlich vor der Vereidigung der neuen Regierung – was denkt, was glaubt, was macht man da? Ich empfehle die ganz kleinen Zwischenraumbürsten, die orangen. Wenn es anfangs blutet, bedeutet das nur, dass es bald überhaupt nie mehr bluten wird.
[ Inhalt ]
Christoph Schlingensiefs »Tagebuch einer Krebserkrankung«
Gibt es noch Fragen? Der Verleger blickt über den Rand seiner Lesebrille, die versammelten Journalisten wissen auch nicht so recht – Fragen? Christoph Schlingensief selbst ist nicht anwesend, auf einem Tisch liegen etwa 100 Exemplare seines Buchs »So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung«, jeder kann sich eins mitnehmen. Fragen – ja, bitte?
»Wie geht es Christoph Schlingensief denn jetzt gesundheitlich?«
Tja. Nicht so gut. Auf und ab. Gestern, nach der »Beckmann«-Aufzeichnung, war er nach Berlin zurückgefahren, nachts kam dann das Fieber.
Am Tag zuvor hatten Schlingensief und ich verabredet, nach dieser Veranstaltung einen Tee trinken zu gehen, mal wieder in Ruhe miteinander zu sprechen. Wäre das ein Interview geworden? Oder privat? Hat es sowas zwischen uns überhaupt je gegeben, rein private Momente? Natürlich. Und doch hatte jede unserer Begegnungen irgendeinen Kunst-Anlass oder wurde bald dazu. Immer war da auch eine Kamera oder ein Diktiergerät, ein Notizbuch – ein Publikum. Zu Schlingensiefs vielen großen Begabungen zählt die, jede soziale Situation anheizen zu können zur Frage: Was machen wir jetzt daraus?
Von unserer ersten Begegnung an, irgendwann im Sommer 1998 war das, haben all unsere Zusammentreffen und gemeinsamen Ausflüge immer irgendeine Form von Text hervorgebracht; entweder filmte er mit oder ich schrieb anschließend etwas darüber, oder wir trafen uns gleich auf einer Bühne. Schlingensief-Bühnen sind nicht ortsgebunden, Theater meint bei ihm kein Gebäude: In der U-Bahn, am Wolfgangsee, in der Wüste oder vor einer McDonald’s-Filiale hat er etwas angezettelt, und einmal dabei, konnte man sich dem Sog seiner Arbeit nicht mehr entziehen.
Als er Ende 1999 anregte, den Jahreswechsel in Namibia zu verbringen, dort mit dem Jeep durch die Gegend zu brettern, dort »Deutschland zu suchen« und an der Küste den Seehunden die Musik Richard Wagners näherzubringen, da überlegte ich nicht lang und fuhr mit. Das Theater in die Welt tragen und umgekehrt; der erweiterte Kunstbegriff! Auch die Grenzen der Privatsphäre sozusagen überwinden.
Vielleicht ganz gut, dass es zu dem gemeinsamen Teetrinken jetzt nicht gekommen ist, davon nämlich anschließend nicht zu erzählen, wäre mir
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