Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
Vom Netzwerk:
irgend etwas Schmerzliches, das du dir heute selber zugefügt hast. Und mach die Übung.«
Ich konnte mich an gar nichts erinnern.
»Das ist immer so. Es gelingt uns nur an den wenigen Malen, großzügig mit uns selber zu sein, wo wir eigentlich streng mit uns sein sollten.«
DAS EXERZITIUM DES SCHMERZES
Immer wenn dir ein Gedanke durch den Kopf geht, der dir schadet - Eifersucht, Selbstmitleid, Liebeskummer, Neid, Haß usw. -, dann tue folgendes:
Grabe den Nagel des Zeigefingers tief in das Nagelbett des Daumens, bis der Schmerz sehr intensiv ist. Konzentriere dich auf den Schmerz: Er spiegelt auf der körperlichen Ebene das Leiden wider, das du auf seelischer Ebene empfindest. Lockere den Druck erst, wenn der Gedanke aus deinem Kopf verschwunden ist. Wiederhole dies, bis der Gedanke dich verläßt, notfalls mehrfach hintereinander. Bei jedem Mal wird es länger dauern, bis der Gedanke wiederkehrt, und er wird ganz verschwinden, wenn du nicht aufgibst, jedesmal, wenn er kommt, den Fingernagel in die Nagelwurzel zu graben.
    Plötzlich fiel mir ein, daß ich mich für einen Idioten gehalten hatte, weil ich so mühsam den Alto del Perdon hinaufgestiegen war, während diese Touristen den einfacheren Weg genommen hatten. Ich wußte, daß dies nicht stimmte, daß ich nur grausam zu mir selber gewesen war. Die Touristen waren auf der Suche nach Sonne, ich hingegen auf der Suche nach meinem Schwert. Ich war kein Idiot und hatte mich dennoch wie einer gefühlt. Ich grub den Nagel meines Zeigefingers kräftig in die Nagelwurzel des Daumens. Ich spürte einen heftigen Schmerz, und während ich mich auf den Schmerz konzentrierte, verschwand dieses Gefühl, ich sei ein Idiot.
    Ich erzählte das Petrus, und er lachte, ohne etwas dazu zu sagen.
In jener Nacht blieben wir in einem gemütlichen Hotel der kleinen Stadt, deren Kirche ich aus der Ferne gesehen hatte. Nach dem Abendessen beschlossen wir, einen kleinen Verdauungsspaziergang zu machen.
»Von allen Dingen, auf die der Mensch gekommen ist, um sich selbst weh zu tun, ist das schlimmste die Liebe. Wir leiden ständig, weil jemand uns nicht liebt, weil jemand uns verlassen hat, weil jemand nicht von uns läßt. Wenn wir ledig sind, dann nur, weil uns niemand will, sind wir verheiratet, machen wir aus der Ehe Sklaverei. Schrecklich!« meinte er grimmig. Wir gelangten auf einen kleinen Platz, an dem die Kirche lag, die ich gesehen hatte. Sie war klein und schlicht. Ihr Glockenturm ragte in den Himmel. Ich versuchte den Engel noch einmal zu sehen. Doch es klappte nicht.
Petrus sah zum Kreuz hinauf. Ich dachte, er sähe den Engel. Doch dem war nicht so. Er begann sogleich mit mir zu reden. »Als Gottes Sohn auf die Erde kam, brachte Er die Liebe. Aber da die Menschen Liebe immer mit Leiden und Opfer gleichsetzen, haben sie Ihn am Ende gekreuzigt. Wäre es nicht so, würde niemand an Seine Liebe glauben, denn alle sind gewohnt, täglich an ihren Leidenschaften zu leiden.« Wir setzten uns auf den Bordstein und blickten weiter auf die Kirche. Wieder einmal war es Petrus, der das Schweigen brach. »Weißt du, was Barabbas heißt, Paulo? Bar heißt Sohn, und Abba heißt Vater.«
Er starrte auf das Kreuz auf dem Glockenturm. Dabei leuchteten seine Augen, und ich spürte, daß er von etwas erfüllt war, vielleicht von dieser Liebe, über die er so viel sprach, doch ich verstand ihn nicht recht.
»Wie weise ist doch der Ratschluß Gottes!« sagte er, und seine Stimme schallte über den Platz. »Als Pilatus das Volk bat zu wählen, ließ er ihm im Grunde keine Wahl. Er zeigte einen gepeinigten, zerstörten Mann und einen anderen, der das Haupt erhoben trug, Barabbas, den Revolutionär. Gott wußte, daß, damit Er Seine Liebe beweisen konnte, das Volk den Schwächeren in den Tod schicken würde.«
Und er schloß:
»Und dennoch, wen immer das Volk auch wählen würde, immer würde der Sohn des Vaters am Ende gekreuzigt werden.«

Der Bote
Und hier vereinigen sich alle Jakobswege zu einem einzigen.«
    Es war noch früh am Morgen, als wir in Puente la Reina ankamen. Der Satz stand auf dem Sockel der Statue eines Pilgers in mittelalterlichem Gewand, mit einem Dreispitz, einem Umhang, den Kammuscheln, dem Stab und der Kalebasse in der Hand, und er erinnerte die Vorübergehenden an die Tradition eines Weges, die Petrus und ich wieder aufleben ließen.
    Wir hatten die vorangegangene Nacht in einem der vielen Kloster verbracht, die entlang des Weges liegen. Der Bruder Pförtner hatte uns gleich

Weitere Kostenlose Bücher