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Auf dem Jakobsweg

Auf dem Jakobsweg

Titel: Auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Coelho
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Geistes ins Bewußtsein. Mir war so, als hätte ich diese Szene schon einmal erlebt. Der Junge erschrak über meine Antwort, ließ den Stein fallen und versuchte es auf anderem Weg.
»Hier in Puente la Reina gibt es einen Reliquienschrein, der einem steinreichen Pilger gehört hat. An der Muschel sehe ich, daß Sie beide auch Pilger sind. Wenn Sie mir den Ball wiedergeben, gebe ich Ihnen den Reliquienschrein. Er ist hier am Ufer des Flusses im Sand versteckt.«
»Ich will den Ball haben«, sagte ich. Aber ganz überzeugt war ich nicht, denn im Grunde wollte ich durchaus den Reliquienschrein haben. Der Junge schien die Wahrheit zu sagen. Doch vielleicht brauchte Petrus den Ball für irgend etwas, und ich konnte ihn unmöglich enttäuschen. Schließlich war er mein Führer.
»Sie brauchen diesen Ball nicht«, sagte der Junge, fast mit Tränen in den Augen. »Sie sind stark und weitgereist. Sie kennen die Welt. Ich kenne nur das Ufer dieses Flusses, und mein einziges Spielzeug ist dieser Ball. Geben Sie mir bitte diesen Ball zurück.«
Die Worte des Jungen gingen mir ans Herz. Doch diese merkwürdige Vertrautheit, dieses Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben, ließ mich ein weiteres Mal widerstehen. »Nein. Ich brauche den Ball. Ich werde dir Geld geben, damit du dir einen neuen, schöneren als den hier kaufen kannst. Aber dieser Ball gehört mir.«
Als ich dies gesagt hatte, schien die Zeit stillzustehen. Die Landschaft um mich herum veränderte sich, ohne daß Petrus seinen Daumen in meinen Nacken preßte. Es war so, als wären wir in eine ferne, graue Wüste versetzt worden. Weder Petrus noch der andere Junge war dort. Nur ich und der Junge vor mir, der jetzt älter war, sympathisch aussah, in dessen Augen jedoch etwas blitzte, das mir angst machte.
Diese Vision dauerte nicht länger als eine Sekunde. Im Augenblick darauf war ich wieder in Puente la Reina, wo sich viele Wege nach Santiago aus den verschiedensten Richtungen Europas zu einem Weg bündelten. Vor mir stand ein Junge, der mich um einen Ball bat und sanfte, traurige Augen hatte.
Petrus stand auf, nahm mir den Ball ab und gab ihn dem Jungen zurück.
»Wo ist der Reliquienschrein, den du mir versprochen hast?« fragte Petrus den Jungen.
»Was für ein Reliquienschrein?« entgegnete der Junge, während er seinen Freund bei der Hand nahm, von uns weglief und ins Wasser sprang.
Wir stiegen den Steilhang wieder hinauf und gingen nun über die Brücke. Ich begann Petrus Fragen zu dem zu stellen, was eben geschehen war, erzählte ihm von der Wüste, doch Petrus wechselte das Thema und sagte, wir könnten darüber reden, wenn wir etwas weiter weg wären.
Eine halbe Stunde später gelangten wir an einen Teil des Weges, auf dem noch Reste des alten römischen Pflasters vorhanden waren. Dort gab es eine weitere, verfallene Brücke. Wir setzten uns, um das Frühstück zu uns zu nehmen, das uns die Mönche mitgegeben hatten: Roggenbrot, Joghurt und Ziegenkäse.
»Weshalb wolltest du unbedingt den Ball des Jungen haben?« fragte Petrus.
Ich entgegnete, daß ich den Ball gar nicht hätte haben wollen. Daß ich so gehandelt hätte, weil er, Petrus, sich so merkwürdig verhalten habe. Als wäre der Ball für ihn etwas sehr Wichtiges. »Und das war er in der Tat. Er hat ermöglicht, daß du siegreich aus dem Kampf mit deinem persönlichen Dämon hervorgehen konntest.«
Mein persönlicher Dämon? So etwas Absurdes hatte ich auf der ganzen Wanderung noch nicht gehört. Sechs Tage lang war ich kreuz und quer durch die Pyrenäen gelaufen, hatte einen Pater kennengelernt, der zwar Hexer war, aber nicht gehext hatte, und mein Finger war völlig wund, weil ich immer, wenn ich etwas für mich Schmerzliches dachte - Hypochondrisches, Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe -, den Fingernagel in meine Wunde hatte graben müssen. Was das betraf, da hatte Petrus recht: Meine negativen Gedanken waren entschieden weniger geworden. Doch diese Geschichte von meinem persönlichen Dämon schien mir doch etwas merkwürdig. Und ich würde das auch so schnell nicht glauben.
»Heute, bevor wir über die Brücke gingen, fühlte ich die Gegenwart von jemandem, der uns warnen wollte. Doch die Warnung galt eher dir denn mir. Ein Kampf würde sich schon bald ereignen, und es war an dir, den guten Kampf zu führen. Kennt man seinen persönlichen Dämon nicht, offenbart er sich für gewöhnlich in der nächstbesten Person. Ich schaute um mich und sah unten die Jungen spielen. Und ich folgerte

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