Auf dem Jakobsweg
fragte mich Petrus nach etwas, das meine Arbeit betraf, und erst da merkte ich, daß ich schon lange nicht mehr daran gedacht hatte. Meine Sorgen wegen der Geschäfte, wegen der liegengebliebenen Arbeit waren praktisch verschwunden. Ich war zufrieden, hier zu sein und den Jakobsweg zurückzulegen.
»Irgendwann wirst du das gleiche tun wie Felicia von Aquitanien«, scherzte Petrus, als ich ihm von meinen Gefühlen erzählte. Dann blieb er stehen und bat mich, den Rucksack auf den Boden zu stellen.
»Schau um dich und fixiere deinen Blick auf irgendeinen Punkt«, sagte er.
Ich wählte das Kreuz auf einem Kirchturm, den ich in der Ferne sehen konnte.
»Fixiere diesen Punkt, und versuch dich nur auf das zu konzentrieren, was ich dir sagen werde. Auch wenn du etwas anderes spüren solltest, laß dich nicht ablenken. Tu, was ich dir sage.«
Ich stand ganz entspannt da und hatte den Turm fixiert, als Petrus sich hinter mich stellte und einen Finger unten in meinen Nacken drückte.
»Der Weg, den du zurücklegst, ist der Weg der Macht, und nur die Exerzitien der Macht werden dir beigebracht werden. Die Reise, die zuvor eine Qual gewesen ist, weil du nur ankommen wolltest, beginnt sich nun in eine Freude zu verwandeln, in die Freude an der Suche und am Abenteuer. Damit nährst du etwas sehr Wichtiges, nämlich deine Träume.
Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet. Wir müssen häufig in unserem Leben erfahren, wie unsere Träume zerstört und unsere Wünsche nicht erfüllt werden, dennoch dürfen wir nie aufhören zu träumen, sonst stirbt unsere Seele, und die Agape kann nicht in sie eindringen. Viel Blut ist auf dem Feld, das vor dir liegt, geflossen, und einige der grausamsten Schlachten der Reconquista wurden hier geschlagen. Es ist nicht wichtig zu wissen, wer das Recht oder die Wahrheit auf seiner Seite hatte: Wichtig ist, daß beide Seiten den guten Kampf kämpften.
Der gute Kampf ist der, den wir kämpfen, weil unser Herz es so will. Zu den heroischen Zeiten der fahrenden Ritter war dies noch einfach. Es gab viel Land zu erobern und viel zu tun. Heute sieht die Welt ganz anders aus, und der gute Kampf wurde von den Schlachtfeldern in unser Inneres verlegt. Der gute Kampf ist der, den wir im Namen unserer Träume führen. Wenn sie mit aller Macht in unserer Jugend aufflammen, haben wir zwar viel Mut, doch wir haben noch nicht zu kämpfen gelernt. Wenn wir aber unter vielen Mühen zu kämpfen gelernt haben, hat uns der Kampfesmut verlassen. Deshalb wenden wir uns gegen uns selber und werden zu unseren schlimmsten Feinden. Wir sagen, daß unsere Träume Kindereien, zu schwierig zu verwirklichen seien oder nur daher rührten, daß wir von den Realitäten des Lebens keine Ahnung hätten. Wir töten unsere Träume, weil wir Angst davor haben, den guten Kampf aufzunehmen.«
Der Druck, den Petrus' Finger auf meinen Nacken ausübte, wurde stärker. Es kam mir so vor, als hätte sich der Kirchturm verändert. Die Umrisse des Kreuzes sahen aus wie ein Mensch mit Flügeln. Ein Engel. Ich blinzelte, und das Kreuz war wieder ein Kreuz.
»Das erste Symptom dafür, daß wir unsere Träume töten, ist, daß wir nie Zeit haben«, fuhr Petrus fort. »Die meistbeschäftigten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, waren zugleich auch die, die immer für alles Zeit hatten. Diejenigen, die nichts taten, waren immer müde, bemerkten nicht, wie wenig sie schafften, und beklagten sich ständig darüber, daß der Tag zu kurz sei. In Wahrheit hatten sie Angst davor, den guten Kampf zu kämpfen. Das zweite Symptom dafür, daß unsere Träume tot sind, sind unsere Gewißheiten. Weil wir das Leben nicht als ein großes Abenteuer sehen, das es zu leben gilt, glauben wir am Ende, daß wir uns in dem wenigen, was wir vom Leben erbeten haben, weise, gerecht und korrekt verhalten. Wir lugen nur über die Mauern unseres Alltags und hören das Geräusch der zerbrechenden Lanzen, riechen den Geruch von Schweiß und Pulver, sehen, wie die Krieger stürzen, blicken in ihre eroberungshungrigen Augen. Doch die Freude, die unendliche Freude im Herzen dessen, der diesen Kampf kämpft, weil für ihn weder der Sieg noch die Niederlage zählt, nur der Kampf an sich, die bleibt uns fremd.
Das dritte Symptom für den Tod unserer Träume ist schließlich der Friede. Das Leben wird zu einem einzigen Sonntagnachmittag, verlangt nichts Großes von uns, will nie mehr von uns, als wir zu
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