Auf dem spanischen Jakobsweg
Busreisenden, meist Spanier, wollen, wissen wir nicht. Wir sind
offensichtlich die einzigen Pilger, denn nur wir beide haben Rucksäcke dabei,
alle anderen hingegen Koffer und Taschen. Das Gepäck wird von den beiden
Fahrern aus den Stauräumen unter dem Bus herausgezogen.
Schließlich
erfahren wir, dass wir, weit außerhalb der Stadt, auf dem Busbahnhof Bayonne
stehen, und so erkundigen wir uns nach der nächsten Fahrgelegenheit zum
Bahnhof. Als wir dort ankommen, ist es schon heller Tag.
Da wir vor
unserer Weiterreise nach Saint-Jean-Pied-de Port noch ein paar Stunden Zeit
haben, laufen wir über die Brücke hinüber in die Altstadt und gehen dort auch
in die Kathedrale. Hier setzen wir uns in eine Bank und schweigen. Jeder hängt
jetzt seinen Gedanken nach. Werden wir die Reise durchstehen? Mehr als 800
Fußkilometer liegen vor uns. Und die Hitze, der Durst, die müden Füße? Die
weiten, einsamen Wege? Und die Bären, die Wölfe und die Geier? Und die Räuber
und Wegelagerer, die gaunerhaften Kaschemmenwirte?
Ich muss
schmunzeln. Dies waren wohl die Gedanken und Sorgen von Millionen von Pilgern
im Mittelalter und auch noch später, die alle an das Grab des heiligen Jakobus
im fernen Compostela pilgern wollten und von denen etwa jeder Dritte niemals
mehr nach Hause zurückgekehrt ist. „Heiliger Jakobus, beschütze uns auf allen
unseren Wegen“.
Madame mit dem weissen Hündchen
In
Saint-Jean-Pied-de Port, wohin wir um die Mittagszeit mit dem Bähnchen durch eine
hügelige Vorgebirgslandschaft gefahren waren, sind wir nun definitiv am
Jakobspfad angekommen, am „Camino“ also, wie er von allen Pilgern genannt wird.
Neugierig werden wir von den vielen Touristen bestaunt, die gemütlich in den
Straßencafés sitzen und sich wahrscheinlich die Frage stellen, wie man so
verrückt sein kann, mit dem Rucksack auf dem Rücken möglicherweise bis ins
ferne Santiago laufen zu wollen.
Eigenartig:
plötzlich fühlt man, dass man nicht mehr so richtig zu all denen gehört, die da
herumsitzen und dass man auch in deren Augen ein anderer, ein Fremder ist. Also
ein „peregrinus“, wie der „Fremde“ auf Latein heißt, ein Wort übrigens, von dem
sich unser Wort „Pilger“ ableitet, so dass die ursprüngliche Bedeutung für
„Pilger“ der „Fremde“ ist. Im Spanischen heißt der „Pilger“ noch bis auf den
heutigen Tag „Peregrino“.
Zuerst gehen
wir im Städtchen ein bisschen auf und ab. Wir genießen es fast, nun plötzlich
als etwas Besonderes angesehen zu werden. Dann aber folgen wir einer rot-weißen
Markierung und stehen bald vor einem alten Gebäude, das die Pilgerherberge sein
muss. Das Haus ist noch geschlossen, aber wir drücken unsere Nasen an ein
kleines Fenster und sehen ein paar Stockbetten, schmal und kurz und eng
aneinander gedrängt, ganz so, als sollten dort heute Nacht keine Pilger,
sondern Heringe eingelegt werden. Nach unserer ohnehin etwas ungemütlichen
letzten Nacht behagt mir das nicht.
„Da muss ich
ja nachts das Fenster aufmachen und meine Beine raushängen, damit ich überhaupt
liegen kann. Bei dir, Vetter, mag das ja gerade noch gehen.“
Aus einem
Haus in der Nähe kommt eine ältere Frau angelaufen, die nicht nur eine rote
Schnapsnase, sondern offensichtlich am frühen Nachmittag schon wieder
nachgelegt hat. Sie redet auf uns ein, ohne dass ich richtig hinhöre. Für uns
hat der Blick durchs Fenster schon ergeben: hier bleiben wir nicht, selbst wenn
es zum Abendessen Schnaps für alle geben sollte.
Doch soll es
noch eine zweite Herberge geben. Ich krame in meinen Notizen herum. Richtig,
aber da müssen wir wieder zurück und in die Oberstadt hinaufsteigen.
„Ja, ja,
dort in dem Haus, neben dem Laden, das ist sie,“ — alle Leute in der schmalen
Gasse wissen, wohin wir müssen.
Wir betreten
das nicht abgeschlossene Haus, in dem dunklen Gang kommt uns ein wütendes
Hündchen entgegen.
Ein bisschen
auf unsere Füße achtend, durchlaufen wir unbeirrt den langen, düsteren Gang,
denn an seinem Ende hört man eine weibliche Stimme.
„Bonjour
Madame, nous sommes pèlerins et , aber ich muss sofort wieder abbrechen,
denn Madame telefoniert gerade und bedeutet uns, im langen Gang zu warten und
bloß nicht das Hündchen anzufassen. Aber dann ist die kleine, ältere Dame mit
den strahlenden Augen die Liebenswürdigkeit selbst, fragt uns, woher wir heute
kämen, was für Landsleute wir wären, ob wir tatsächlich bis Santiago wollen —
und, wie gesagt, „ja nicht
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