Aufbruch - Roman
schwarzer Pudel fuhr uns zwischen die Beine, die Nase am Boden suchte er die Spur seines Frauchens. Vom Rheinufer Polizeisirenen.
Ich kramte nach den Pfefferminzpastillen.
»Hier«, sagte ich und hielt sie Bertram hin. »Von der Mama.«
Vorm Dom drehten die Losverkäufer noch immer ihre Trommeln, fette Kisten in Mengen seien da noch drin, schrien sie, und wir zogen mit Blick auf ein schickes blau-weißes Ford-Cabrio eine Niete.
»Rievkooche?«, stupste ich den Bruder im Vorübergehen an der Bude in die Rippen, aber der klopfte sich auf den Bauch: »Da verderb ich mir ja das ganze gelato.«
Hinter den hohen Glasfenstern der Bahnhofshalle staute sich die Wärme eines sonnigen Herbsttages. Lärm schlug uns entgegen, Getöse bis unter die gewölbte Schalendecke, wo sich die unterschiedlichsten Laute zu einem Brei zu verbinden schienen, der Blasen warf, die zerplatzten und die Wortschälle zurückwarfen auf den steinernen Boden und wieder hinauf, bis sie in Schüben nach draußen entweichen konnten, wenn jemand hinausging, jemand hineinkam, so wie wir, die wir unsere Stimmen in das Gewirr der anderen mischten.
In der Halle spielte sich ein Leben ab, fast wie draußen, eine Stadt en miniature. Kneipen gab es, ein Hotel, Restaurant, Bäckerei, Drogerie, Apotheke, die Post, WC, Telefone. Bücher und Blumen. Andenken. Einen Friseur. Gedrängter, geballter, wie die Summe des Lebens draußen, kreiselte es hier, Ankunft und Aufbruch und dazwischen Brötchen mit Bockwurst und Kölsch. Frauen in blauen Kitteln fuhren mit meterbreiten Besen nach Staub und Kippen zwischen die geduldigen Beine der Reisenden und Streuner. Auch die waren hier. Im Bahnhof hat jeder ein Dach überm Kopf, und man ist nie allein.
Eine Gruppe italienischer Gastarbeiter schlenderte von dem Blumenstand rechts vom Eingang hinüber zum Buchladen links und wieder zurück; mag sein, sie fühlten sich an diesem Ort
näher an Zuhause, Roma Termini, Napoli, Palermo. Nur einsteigen müssten sie. Tun sie aber nicht, dürfen ja nicht, noch nicht, also gehen und stehen sie herum und sparen. Reden, lachen, sind sich selbst genug in ihrer heimatlichen Gesellschaft.
Doch die Zeit stand nicht still, und wir gingen durch sie hin zum Automaten, der mir die Bahnsteigkarte herausrasselte, der Kontrolleur lochte sie, lochte die Fahrkarte des Bruders.
Auf den Bahnsteigen mischten sich Räderlärm, Gleisrattern, Schaffnergeschrei, Gepäckwagen quietschten, hin und wieder eine Ansage von hohler Lautsprecherstimme, von Zeit zu Zeit durchschnitten von einem heulenden Pfiff, der ohrenbetäubend für Sekunden Stille vortäuschte, die sogleich von noch stärkerem Lärm erstickt wurde. Auf unserem Gleis, Gleis 1 für die Züge Richtung Düsseldorf, kam eine Lokomotive fauchend zum Stehen.
»Weißt du noch«, Bertram wies auf die dichten Rauchschwaden aus dem Schornstein, »wie du geschrien hast, als du die erste Lok gesehen hast? Du dachtest, da sitzt ein Riese drin, der keine Luft kriegt und raus will, um zu fressen. Menschenfleisch. Und natürlich dich.«
»Ja, aber sieh mal hin! Das sieht doch wirklich so aus, als käme der bei jedem Puff mit dem Kopf raus, immer größer. Bis er zerreißt.«
Doch Bertrams Aufmerksamkeit wurde von einer Gruppe gefesselt, die, offenbar beschwipst von einer Familienfeier, ein gewisses Jüppsche an den Zug brachte.
»Jüppsche, has de denn auch noch in dr Tasch, wat dir dat Lispeth jejeben hat!«, machte sich eine blonde Mittvierzigerin am Sakko eines beleibten Mannes zu schaffen, der wie ertappt in seine Hosentasche fuhr und nickte, worauf die Gruppe schallend lachte und Jüppsche in den Zug stieg. Gleich darauf ging das Fenster in seinem Abteil herunter, und der Abschied konnte mit verstärkter Stimmkraft fortgesetzt werden.
»Zeisch et aber nit der Mama!«, schrie die Blonde ins Gelächter der Gruppe und das blöde Gesicht des Jüppsche, der sich die Hand hinters hochrote Ohr legte: »Wie bitte? Versteh nix!«
»Nix dä Mama!« Die Blonde hatte mit beiden Händen einen Schalltrichter gebildet und bemühte sich, über den Lärm hinwegzubrüllen. Auf dem Gleis nebenan ein Güterzug, das endlose, rüstige Klacketiklack seiner Räder.
Ein Mann aus der Gruppe flüsterte nun einer Frau etwas ins Ohr, worauf die, eine Hand zwischen die Beine geklemmt, herumhüpfte und rausprustete: »Nä! Nä!« Was den Mann aber nicht davon abhielt, durch seine Hände vorm Mund ins Abteil zu schreien: »Sach dem Onkel Willi, er soll seine …«
»Wat?
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