Auge um Auge (German Edition)
Kopf. »Ich will gar nicht gewinnen.«
»Wieso nicht?«, fragt Kat überrascht. »Rennie würde vor Eifersucht einen verdammten Tobsuchtsanfall kriegen.«
Lillia beißt sich auf die Unterlippe. »Ich glaube, noch schlimmer wäre es für sie, wenn eine andere ihre Krone bekommt. Eine, von der sie nie erwartet hätte, dass sie sie besiegen könnte. Ashlin zum Beispiel.«
»Stimmt, Ashlin! Meine Nachfolgerin. Die vergesse ich immer. Hat die überhaupt so was wie eine Persönlichkeit?«
Lillia funkelt Kat zornig an. »Sie ist ein nettes Mädchen. Und sie wäre überglücklich, wenn sie gewinnt.«
Kat zieht achselzuckend an ihrer Zigarette. »Meinetwegen. Aber jetzt brauchen wir noch einen Plan, wie wir Reeve eins auswischen.« Sie bläst den Rauch in einer langen, dünnen Fahne aus. »Schon irgendwelche Ideen, Mary?«
Ich schüttle den Kopf.
»Okay«, sagt Lillia geduldig. »Vielleicht fangen wir so an: Was wünschst du dir denn, was ihm passieren soll?«
Ich kaue an den Nägeln und denke nach. Auf einmal kommt meine ganze Wut auf Reeve wieder hoch. Das ist mit ein Grund dafür, dass ich versuche, möglichst nicht an ihn zu denken. Es wäre wie mit der Büchse der Pandora. Ich habe Angst, mich selbst zu öffnen und alles noch einmal zu erleben, was damals geschehen ist. Aber vielleicht kann ich nur auf die Weise wissen, welche Art von Rache mir wirklich das Gefühl gäbe, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt sei.
Ich hole tief Luft und sage: »Was immer wir tun, es muss groß sein. Groß und grausam. Wir müssen ihm genauso wehtun wie er mir.« Falls das überhaupt möglich ist.
Kat und Lillia sehen einander an, vermutlich sind sie überrascht von meiner Heftigkeit. Noch bevor Lillia den Mund aufmacht, weiß ich, was gleich kommt.
»Was hat er dir getan?«, fragt sie, und ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
»Du kannst uns vertrauen«, sagt Kat. »Wir erzählen es nicht weiter.«
Lillia schiebt sich die Haare über die Schulter und zeichnet ein kleines Kreuz über dem Herzen. »Versprochen.«
Ich lasse das Kinn auf die Brust sinken und die Haare vors Gesicht fallen. Ich weiß, ich muss es tun. Ich muss jemandem die ganze Geschichte erzählen, alles, was damals passiert ist.
Ich hebe den Kopf und fahre mir mit der Zunge über die Lippen. »Reeve hatte einen speziellen Spitznamen für mich.« Ich spüre die Worte in meinem Mund, heiß und metallen fühlen sie sich an. »Big Easy.«
So wie Kat die Stirn in Falten legt, ist mir klar, dass sie Schlimmeres erwartet hat. »Wie kam er darauf?«
»Ich sah anders aus damals, in der Siebten. Ich war richtig fett. Und wir nahmen in Sozialkunde gerade New Orleans durch. Da hat er den Spitznamen der Stadt für mich übernommen.«
»Im Ernst? Du warst mal dick?« Lillias Überraschung empfinde ich als Kompliment.
Ich nicke und schiebe mir die Pulloverärmel bis zu den Ellbogen hoch. »Und wie!«
»Also hat er fette Witze über dich gerissen«, faucht Kat. »Typisch!«
Ich fahre herum und schaue hoch zu meinem Fenster, um sicherzugehen, dass Tante Bette auch wirklich nicht dort steht und uns sieht. Doch die Vorhänge bleiben geschlossen. Also drehe ich mich wieder zurück und rede weiter, achte aber immer darauf, leise zu sprechen. »Ihr wisst noch, dass Reeve und ich beide auf die Montessorischule in Belle Harbor gingen, ja? Also, wir waren die einzigen Kinder von der Insel und fuhren jeden Tag mit der Fähre hin und her. Aber weil wir an seinem ersten Tag in der Schule einen schlechten Start hatten, habe ich mich von ihm ferngehalten.«
Ich erzähle den beiden von jenem ersten Tag in der Cafeteria, als Reeve Witze darüber gerissen hat, dass ich angeblich die Reste von seinem Essen haben wollte. Und davon, wie er es geschafft hat, dass niemand mehr mit mir zusammen gesehen werden wollte. Kat und Lillia unterbrechen mich nicht, schütteln aber immer wieder den Kopf oder machen ts, ts. Jede ihrer Reaktionen ermutigt mich weiterzureden. Ich erzähle von der Sache mit dem Taschenmesser und auch von dem Tag, als wir zusammen Eis gegessen haben.
»Danach entwickelte sich zwischen uns so eine merkwürdige Form von ...« Ich zögere, suche das richtige Wort, doch nichts passt wirklich, also sage ich einfach »Freundschaft«, auch wenn es das nicht wirklich trifft. »Die Fahrt mit der Fähre war so eine Art Auszeit für uns. Reeve sagte oft: ›Wir von der Insel müssen doch zusammenhalten, stimmt’s, Big Easy?‹«
»Wart mal, wart mal, wart mal«, sagt Kat
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