Auge um Auge (German Edition)
erreichen.«
»Ich hab ihm nie wehtun wollen.« Kaum sind die Worte draußen, folgen auch schon die Tränen. Ich weine, als würde mir das Herz brechen, und genauso ist es auch. »Ist er tot?«, frage ich mit versagender Stimme. »Ja?« Als Kat nicht antwortet, sinke ich auf die Knie und schlage die Hände vors Gesicht.
Es kann sein, dass Reeve heute Nacht stirbt.
Bei dem Gedanken möchte ich am liebsten auch sterben.
41 LILLIA Das Wartezimmer im Krankenhaus ist total überfüllt, anscheinend sind alle hier, die auf dem Ball waren. Die meisten Jungen sitzen auf dem Boden, manche lehnen an den Wänden, die Mädchen sitzen auf Stühlen oder Sofas. Ich sitze zwischen Rennie und Alex auf einer Couch. Rennie hat den Kopf an Ashs Schulter gelehnt und endlich aufgehört zu weinen.
Ich würde gern weinen, kann aber nicht. Ich habe kein Recht dazu. Schließlich bin ich verantwortlich für das hier. Ich habe ihm das Ecstasy in den Punsch getan.
Als Reeves Eltern eintreffen, kann ich sie nicht einmal ansehen.
»Mr. Tabatsky weint«, flüstert Ash mir zu.
Ich halte den Kopf gesenkt und starre auf den Boden. Mrs. Tabatsky hat noch ihre Hausschuhe an. Rennie springt auf und reicht ihr ein paar Taschentücher aus ihrer Handtasche, und die beiden umarmen sich lange.
»Der erholt sich wieder«, sagt Alex leise zu mir.
Ein Trost ist das nicht, denn wie will Alex das wissen? Keiner kann das wissen. Es heißt, Reeves Zustand sei stabil, aber sie machen noch weitere Untersuchungen am Gehirn und am Herzen, um herauszufinden, was genau den Anfall ausgelöst hat. Auf jeden Fall hat er sich ein Bein gebrochen. Ob die Wirbelsäule bei dem Sturz dauerhafte Schäden davongetragen hat, wissen sie noch nicht. Reeve. Reeve der Quarterback. Reeve, der so gern tanzt und schwimmt und abhängt – der sollte nicht mehr laufen können? Unvorstellbar.
Ich bete inbrünstig, dass die Ärzte keinen Drogentest machen. Sicher, das war eigentlich der Zweck des Ganzen, dass Reeve aus der Mannschaft fliegt. Aber was ist, wenn jemand Nachforschungen anstellt? Wenn sie irgendwie herausfinden, dass Kat, Mary und ich hinter der Sache stecken? Was passiert dann mit uns? Ich wünschte, ich wäre jetzt bei den beiden.
Als Alex aufsteht, um Reeves Eltern Kaffee zu holen, richtet Rennie sich auf. »Lil, was hat Reeve vorhin zu dir gesagt? Auf der Bühne?«
»Wann?«, frage ich und weiche ihrem Blick aus.
»Unmittelbar bevor er dich geküsst hat«, sagt sie tonlos.
Ich spüre, wie mir heiß wird im Gesicht. »Nichts. Ich weiß nicht. Jedenfalls nichts, was irgendeinen Sinn ergeben hätte.«
»Von da, wo ich stand, sah es so aus, als hättest du ihn auch geküsst.«
»Hab ich nicht! Er ist einfach über mich hergefallen!« Ich senke meine Stimme. »Da wusste er doch schon nicht mehr, was er tat. Er muss sehr viel mehr getrunken haben als wir anderen.«
Rennie nickt. »Das stimmt, er schien wirklich nicht bei Verstand zu sein.« Sie kaut an ihrem Fingernagel. »Aber du weißt, was ich für ihn empfinde.«
»Ich schwöre, Rennie. Ich habe ihn nicht geküsst. Was kann ich noch sagen, damit du mir glaubst?«
Rennie beißt sich auf die Unterlippe und nickt wieder. Ein paar Tränen rollen ihr übers Gesicht. Sie wischt sie weg, dann steht sie auf und setzt sich zu Reeves Brüdern.
Ich stehe auch auf und gehe zum Getränkeautomaten hinüber. Ich würde so gern nachfragen, ob mit Kat und Mary alles okay ist, aber in Krankenhäusern darf man Handys ja nicht benutzen. Ich muss also warten, bis ich mal unauffällig vor die Tür gehen kann.
Was sollen wir bloß tun?
42 KAT Wir sitzen bei meinem Boot am Hafen. Mary ist wieder still. Seit es mir endlich doch noch gelungen ist, sie in mein Auto zu bekommen, hat sie kein Wort gesagt. Aber alle paar Minuten fängt sie wieder an zu weinen. Ich sitze neben ihr und ziehe Glassplitter aus meinen Schuhsohlen.
Gegen Mitternacht bekomme ich eine SMS . Lillia fragt: Wo seid ihr?
Ich schreibe zurück, dass wir bei meinem Boot sind und dass sie so schnell wie möglich herkommen soll. Ich habe keine Ahnung, was ich mit Mary tun soll. Hat sie einen Zusammenbruch? Sollte ich sie ins Krankenhaus bringen? Sie ist nicht verletzt, hat keine Schnittwunden vom Glas, aber ihr Blick macht mir Angst.
Zwanzig Minuten später kommt Lillia atemlos angerannt. Ich stehe auf. »Wie geht’s ihm?«
Lillia bricht in Tränen aus. »Er liegt auf der Intensivstation.« Sie setzt sich und umschlingt die Knie. Ihre Frisur hat sich halb
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