Augen der Nacht (Dunkelmond Saga) (German Edition)
Vell fragte sich
was sie tun sollte. Ihr Gegenüber schien noch darüber nach
zu denken.
„ Wo hast du deine Kleider? “, wand er sich an die Alte, „ ich
werde dir eines abkaufen.“
„ Spar dir dein Geld, denn ich nehme es nicht.“
Stattdessen ließ sie den Korb stehen und stapfte zu einer
großen Holztruhe. Dort holte sie einen Sack Stoff heraus,
dazu ein Paar alte Stiefel. Damit schlurfte sie zu Vell und
drückte ihr das Bündel in die Hand.
„Hier “, knurrte sie, „ zieh das an und dann verschwinde.“ Vell
überspielte die Zweifel und nahm
es
ihr ab.
Das
Schlaflager war der einzige Ort, der ihr blieb. Also brachte
sie sich hinter dem gewebten Vorhang in Sicherheit.
„ Für deine Hilfe“ , hörte sie den Umhangträger. Das Geräusch
von Münzen schepperte auf dem Tisch.
„ Was soll ich damit?“, fragte die Alte wütend, „ich habe doch
gesagt, dass ich nichts von dir will.“
„Dann nimm meinen Dank.“
„Was immer er wert sein mag. Ich habe geholfen, und du
verschwindest.“
Vell befreite sich von ihrem Mieder und streifte das Kleid
von den Schultern. Ein riesiger blauer Fleck zierte ihren
Rücken. Doch sie hatte keine Zeit sich darum zu kümmern.
Das Kleid der Heilerin war aus grober brauner Wolle und
kratzte bereits beim Überziehen. Aber wenigstens hatte es
einen Gürtel und kleine gewebte Seitentaschen. Schließlich
band sie sich ihr Haar noch zu einem Zopf und trat dann
heraus um die Stiefel anzuziehen. Noch immer saß die Alte
mit versteinerter Miene am Tisch, während der Mann in
schwarz auf sie wartete.
„ Gib mir das Kleid!“, verlangte er, „ mach schon !“
Zögerlich reichte ihm Vell den verschlissenen Stoff und sah
wie er ihn auf die Herdkohlen warf. Die Seide fing schnell
Feuer und wurde von grünen Zungen aufgefressen. „ Zum
Teufel!“, rief die Alte wütend, „ Los
macht,
dass
ihr
fortkommt!“
Die weiße Dame
Draußen war
es
kalt.
In
den Fenstern
der Gehöfte
schummerte das Licht von Kerzen. Ab und an sah Vell sich
um, ob ihnen jemand folgte. Ihr Fuß schmerzte noch. Aber
sie nahm sich vor, besser kein Wort darüber zu verlieren. Es
musste einen späteren Zeitpunkt geben, an dem sie den Mut
fand, ihn zur Rede zu stellen. Ihre Kehle war noch immer
wie zugeschnürt.
Auch
ihr Begleiter
schien
nicht
an
interessiert.
Am
Himmel über ihnen
einer
Unterhaltung
funkelten
zahllose
Sterne. Und es sah so aus, als würde er versuchen, in ihnen
zu lesen. Ihr war nicht klar, wie das funktionierte. Sie wagte
auch nicht zu fragen.
Doch nach einigen Momenten, setzte er seinen Weg wieder
fort und lief ihr voraus in die Dunkelheit. „ Worauf wartest
du?“, rief er.
Vell hatte keine Antwort darauf, aber folgte ihm in einigem
Abstand nach. Auf merkwürdige Art und Weise hatte sie
sich an seine Gesellschaft gewöhnt, mit dem neuartigen
Unterschied, dass sie jetzt keine Geisel mehr war. Oder etwa
doch?
In zügigem Schritt gab er das Tempo vor und sah sich ab
und an nach ihr um. Wenigstens gab es keine Fesseln mehr.
Und kein Messer. Stattdessen nur langes Schweigen.
Je länger sie unterwegs waren, desto lichter wurde der Wald.
Bald darauf folgten sie einem schmalen Feldweg. Außer dem
Zirpen der Grillen war es völlig still. Der Mond leuchtete wie
ein
orangefarbener
Kürbis
und
bestrahlte
eine
weite
Graslandschaft.
Vell fragte sich, wieso sie das tat. Wieso er das tat. Aber sie
fand keine Antwort und ihr Begleiter hielt es offenbar für
unnötig sie aufzuklären.
Meist war er ihr um ein paar Schritt voraus. Und es sah auch
so aus, als ob es so bleiben würde.
„ Gibt es auch Pausen?“, rief sie. Darauf wand er den Kopf
und blieb stehen. Im Mondlicht sah er aus, wie der schwarze
Mann aus den Gruselgeschichten. Und er wartete, bis sie zu
ihm aufgeholt hatte.
„ Was ist mit deinem Fuß? Muss ich ihn amputieren?“
„Nein“, widersprach sie verunsichert, „ ich brauche nur etwas
Ruhe.“
„Nicht hier, im Wald ist es sicherer.“
„Er tut aber weh.“
Darauf griff er ihren Unterarm und zog sie weiter. „Bald sind wir in Elbram. Dort bist du in Sicherheit. “
„ Elbram? “
„Ein Kloster , es liegt etwa fünf Meilen von hier.“
„ Nein!“ Vell ließ sich zurückfallen und machte sich schwer.
„ Dorthin geh ich nicht!“
Darauf packte ihren Arm und sah sie an.
„Du tust was ich sage, klar!“
Seine Stimme war wütend. Sein Blick entschlossen.
Aber es war ihr egal.
„ Gib mir meine Kette, wieder!“, verlangte sie . Vor Wut kamen
ihr die Tränen.
„Nein!“,
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