Augen der Nacht (Dunkelmond Saga) (German Edition)
nicht zu stören. Und
nach Vell hatte er erst gar nicht gefragt.
Während sie lief, hörte sie hinter sich die Hunde bellen.
Kasper
und Vinci waren
ihr gefolgt und wedelten
nun
erwartungsvoll mit dem Schwanz.
„ Ich kann nicht mit euch spielen“, rief sie, „ na los ihr beiden,
jagt Ratten !“
Aufgeregt sprangen die Rüden um sie herum und bettelten
weiter um Aufmerksamkeit. Aber da Vell entschlossen blieb,
ließen sie bald von ihr ab und trollten sich wieder zurück in
den Park.
Allmählich begann sich auch der Nebel zu lichten. Und die
Sonne gewann nun die Oberhand. Heute war der erste Tag,
an dem der Himmel nicht voller Wolken hing.
Keant war
ein
einsamer
Ort.
Ein
kleiner,
vergessener
Landsitz.
Der
angrenzende Wald machte ihn
zu
einem
grünen Exil und außer der Köhlerfamilie gab es hier weit
und breit keine Nachbarn. Aber ihr Großonkel hielt es für
richtig, dass sie hier ihre Jugend verbrachte. Hier, im letzten
Weiler am Ende der Welt. Bis zu dem Tag, an dem sie
endlich einundzwanzig war.
Eilig lief Vell durch den Garten und nahm die Stufen hinauf
zur Terrasse. Das große Tor stand bereits offen und sie
passierte die vier Privatdiener ihres Onkels, die gerade die
Kommoden abstaubten. Jetzt, da er hier war, würden sie
alles auf Vordermann bringen und dem Schloss neuen Glanz
verleihen, wenn auch nur für kurze Zeit.
Im Herbst war wieder alles wie vorher, bis zum langen und
kalten Winter.
Von der kleinen Empfangshalle aus, war es nicht weit bis
zur Wendeltreppe. Sie führte hinauf in die Bibliothek. Und
schon auf den Stufen hörte Vell ihren Großonkel husten.
Für gewöhnlich war dies der Ort, an dem sie sich sonst zu
Hause fühlte. Doch sobald der Syrer hier war, war es sein
Reich.
Und es
war
ihr verboten
sich
in
der
Bibliothek
aufzuhalten.
Mit angehaltenem Atem lief sie zur Tür mit den dunklen
Einhörnern.
Es war
soweit.
Zeit,
sich
dem Drachen
zu
stellen. Also holte sie tief Luft und schob sie vorsichtig auf.
Würziger
Qualm
vernebelte
den
Raum.
Der
große
Schreibtisch war heute mit allerlei Papieren übersät und
dazwischen stand noch das Frühstücksgeschirr.
Ein ergrauter Mann sah auf. Der Syrer trug noch immer
seinen Morgenmantel und die braune Perücke schmückte
den Kopf seiner weißen Königsbüste. Gleich daneben lehnte
sein silbernes Florett. Wie die meisten Adligen trug er es
nur zur Zierde. Nicht,
um sich ernsthaft zu
duellieren.
Selbst sein berühmtester Ahne, der Forscher Hifinas Norex,
trug
ein
Florett
auf
dem
Portrait,
obwohl
er
sein
Laboratorium zu Lebzeiten so gut wie nie verlassen hatte.
„ Da bist du also“, bemerkte er
sie. Mit
müden
Augen
musterte er ihre Erscheinung vom Kopf bis zu den Füßen .
„Ich hatte meine Nichte erwartet und keine Blattlaus.“
„Das ist nur Gras. Ich war gerade im Park spazieren.“
„Sieht eher nach eine Prügelei aus“, stellte er fest, „ und es
betrübt mich zu sehen, dass du nicht nach deiner Großtante
gerätst.“
„Ihr meint Tante Petunie?“
„Ja in der Tat. Sie war so ein ausgeglichenes Wesen.“
„Aber sie hat sich schon mit zwanzig erhängt, Onkel. Das
könnt ihr nachlesen.“
„Tatsächlich?
Nun
wie Schade.
Sie hätte
eine großartige
Zukunft haben können. Du dagegen hast nicht mal Mitgift.
Nur ein sehr hübsches Gesicht.“
Sein Antlitz hatte jetzt einen strengen Ausdruck, und es
wurde mit jedem Moment strenger .
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich oft mit Martha
streitest. Sie sagt sie hat große Sorgen mit dir.“
„Das ist nichts ernstes, Onkel, wirklich.“
„Und deshalb nennst du sie Humpelpest?“
„Weil sie mich andauernd bevormundet! Und nicht einsieht,
dass ich kein Kind mehr bin!“
„Was denn sonst? Eine kleine Kröte vielleicht? Dabei hatte ich
dich rufen lassen, um dir etwas Wichtiges mitzuteilen, und
nicht um mich über dich zu ärgern.“
„Und was?“
„Ich erwarte morgen Gäste. Sie kommen einen weiten Weg
hier her und bleiben für einige Tage bei uns.“
„Seit wann habt ihr Gäste? Ich meine, in diesem Leben?“
„Nun, ich habe Geschäftliches zu klären und Persönliches.
Und ich verlange, dass du dich von nun an wie ein ganz
normales Mädchen verhältst? Hast du mich verstanden? Wie
ein Mädchen in deinem Alter.“
„Aber ich bin nicht normal. Ich meine, hier ist überhaupt
nichts normal! Ich darf nie hier raus, nicht einmal im Jahr!
Und ich finde es ist an der Zeit, dass ich….“
„ Dass du dir das aus dem Kopf schlägst!“ , fiel ihr der Syrer
ins Wort, „ Reisen ist
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