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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Gefangener sich von der Stelle rührte.
    Er öffnete den Reißverschluß seiner Jacke gerade so weit, daß Kelso sein Schulterhalfter sehen konnte, und da erkannte Kelso ihn auch wieder. Mamantows persönlicher Leibwächter in der Wohnung in Moskau. Er war ein großer, milchgesichtiger Bursche mit einem herabhängenden linken Augenlid und einer schwammigen Unterlippe, und da war etwas an der Art, wie er seinen Stiefel an Kelsos Oberschenkel gelegt hatte und ihn gegen das Fenster drängte, das vermuten ließ, daß sein größtes Vergnügen im Leben darin bestand, Leuten weh zu tun; daß er Gewalttätigkeit brauchte wie ein Schwimmer das Wasser.
    Kelso kam Papu Rapawas baumelnde Leiche in den Sinn, und er begann zu schwitzen.
    »Sie sind doch Viktor?« Keine Antwort.
    »Wie lange soll ich hier bleiben, Viktor?«
    Wieder keine Antwort, und nach ein paar weiteren halbherzigen Aufforderungen, ihn gehen zu lassen, gab Kelso es auf. Er konnte Stiefelgetrappel auf dem Gang hören und hatte den Eindruck, daß der ganze Zug gesichert wurde.
    Danach passierte zwei Stunden lang gar nichts.
    Um 10.20 Uhr hielten sie fahrplanmäßig in Danilow, und noch mehr von Mamantows Leuten bestiegen den Zug.
    Kelso fragte, ob er auf die Toilette gehen dürfte. Keine Antwort.
    Später, kurz vor der Stadt Jaroslawl, passierten sie eine halbzerfallene Fabrik mit einem an seiner fensterlosen Fassade befestigten, vor sich hin rostenden Lenin-Orden. Auf dem Dach der Fabrik zeichnete sich eine Reihe von jungen Männern ab, die den Arm zum faschistischen Gruß erhoben hatten.
    Viktor sah Kelso an und lächelte, und Kelso schaute woanders hin.
    Sinaidas Wohnung in Moskau war leer.
    Die Klims, die im Stock unter ihr wohnten, schworen hinterher, sie hätten kurz nach elf gehört, wie sie fortgegangen sei. Aber der alte Amosow, der auf der Straße genau gegenüber dem Wohnblock an seinem Wagen gearbeitet hatte, beharrte darauf, daß es eine Weile später gewesen sei, kurz vor zwölf, glaube er. Sie sei an ihm vorbeigegangen, ohne ein Wort zu sagen, was für sie nichts Ungewöhnliches war – sie habe den Kopf gesenkt gehalten, sagte er, und eine dunkle Brille getragen, eine Lederjacke, Jeans und Stiefel –, und sie sei in die Richtung gegangen, in der die Metrostation Semjonowskaja lag.
    Ihren Wagen hatte sie nicht: Der stand immer noch vor dem Haus, in dem ihr Vater gewohnt hatte.
    Das nächste Mal wurde sie eine Stunde später gesichtet, als sie an der Rückfront des Robotnik auftauchte. Eine Putzfrau, Wera Janukowa, erkannte sie und ließ sie ein. Sie ging direkt zur Garderobe, wo sie eine lederne Umhängetasche abholte (sie zeigte ihren Schein vor; es war eindeutig ihre.) Die Putzfrau schloß den Vordereingang für sie auf, aber sie zog es vor, auf demselben Weg wieder zu verschwinden, auf dem sie hereingekommen war; damit umging sie die Metalldetektoren, die sich automatisch einschalteten, wenn die Tür aufgeschlossen wurde.
    Der Putzfrau zufolge war sie nervös gewesen, als sie ankam, aber sobald sie ihre Tasche hatte, schien sie in guter Stimmung zu sein, ruhig und gefaßt.

34. Kapitel
    War Kelso eingeschlafen? Hinterher hielt er es für durchaus möglich, denn er hatte keine klare Erinnerung an jenen langen Nachmittag. Er konnte sich nur daran erinnern, irgendwann Schritte auf dem Gang gehört zu haben und dann ein leises Anklopfen. Inzwischen befanden sie sich am nördlichen Stadtrand von Moskau, und das blasse Oktoberlicht fiel bereits auf die Stadt aus Eisen und Beton.
    Viktor schwang lässig seinen Fuß von der Liege, stand auf und zog seine Hose hoch. Er zog sein Messer aus dem Türspalt, schob die Tür zunächst nur ein bißchen auf, dann öffnete er sie vollends und salutierte, und plötzlich stand Wladimir Mamantow im Abteil, und mit ihm der eigentümliche Geruch nach Kampfer und Karbol, an den sich Kelso von seiner Wohnung her erinnerte. In seiner Kinnspalte saß noch immer dasselbe Büschel von dunklen Bartstoppeln.
    Er war ganz falsches Lächeln und Bedauern: Es tue ihm ja so leid, falls Kelso irgendwelches Ungemach zu erdulden gehabt habe, ein Jammer, daß sie sich nicht schon früher im Laufe der Fahrt hätten treffen können, aber er habe sich um andere, wichtigere Dinge kümmern müssen. Er sei sicher, daß Kelso dafür Verständnis habe.
    Sein Mantel war nicht zugeknöpft. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er warf seinen Hut auf die Liege gegenüber von Kelso und ließ sich neben ihm nieder, griff nach der Mappe, holte die

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