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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Dokumente heraus, bedeutete Viktor, sich neben Kelso zu setzen, rief dem zweiten Leibwächter, den er auf dem Gang zurückgelassen hatte, zu, er solle die Tür schließen und niemanden hereinlassen.
    Das war nicht der Mamantow, den Kelso sieben Jahre zuvor kurz nach dessen Entlassung aus dem Gefängnis kennengelernt hatte. Das war nicht einmal der Mamantow vom Anfang dieser Woche. Dies war ein Mamantow, der wieder in seinen besten Jahren war, ein verjüngter Mamantow. Ein Mamantow, der wieder aufgelebt war.
    Kelso beobachtete, wie Mamantows dicke Finger in dem Notizbuch und den NKWD-Berichten blätterten.
    »Gut«, sagte Mamantow munter, »hervorragend. Es sieht aus, als würde nichts fehlen. Sagen Sie: Hatten Sie wirklich vor, das alles zu vernichten?«
    »Ja.«
    »Alles?«
    »Ja.«
    Er sah Kelso fassungslos an und schüttelte den Kopf. »Und dabei sind Sie derjenige, der immer danach schreit, daß jedwedes historische Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müßte!«
    »Trotzdem hätte ich es vernichtet. Um Ihnen einen Riegel vorzuschieben.«
    Kelso spürte den zunehmenden Druck von Viktors Ellenbogen an seinen Rippen, und er wußte, daß sich der junge Mann nach einer Gelegenheit sehnte, ihm weh zu tun.
    »Ah! Also darf Geschichte nur zugelassen werden, wenn es den subjektiven Interessen der Leute dient, die über die Unterlagen verfügen?« Mamantow lächelte abermals. »Ist der Mythos der sogenannten westlichen ›Objektivität‹ jemals vollständiger ad absurdum geführt worden? Ich sehe schon, ich muß diese Dokumente wieder in Besitz nehmen, damit sie unversehrt bleiben.«
    »Wieder in Besitz nehmen?« sagte Kelso. Er konnte seine Fassungslosigkeit kaum verbergen. »Soll das heißen, daß Sie sie schon vorher gehabt haben?«
    Mamantow nickte herablassend.
    So ist es.
    Mamantow hatte die Papiere wieder in der Mappe verstaut und die Riemen verschlossen. Aber er wollte offenbar das Abteil nicht verlassen. Noch nicht. Schließlich hatte er auf diesen Moment so lange gewartet. Er wollte, daß Kelso Bescheid wußte. Es war fünfzehn Jahre her, seit Jepischew ihm zum ersten Mal von diesem ›schwarzen Notizbuch‹ erzählt hatte, und er hatte nie die Hoffnung verloren, daß er es eines Tages finden würde. Und dann, als er es schon aufgeben wollte, tauchte wie ein Wunder wer auf der Mitgliederliste von Aurora auf? Ausgerechnet dieser Papu Rapawa, auf dessen Namen er in den KGB-Akten so oft gestoßen war. Mamantow hatte ihn zu sich befohlen. Und endlich – zuerst zögerlich und widerstrebend, aber schließlich aus erwachender Loyalität zu seinem neuen Chef – hatte Rapawa ihm die Geschichte der Nacht von Stalins Schlaganfall erzählt.
    Mamantow war der erste gewesen, der sie zu hören bekam. Das war jetzt ein Jahr her.
    Es hatte ihn volle neun Monate gekostet, in den Garten von Berijas Haus in der Wspolny-Straße zu gelangen. Und wissen Sie, was er dazu hatte tun müssen? Nein? Er hatte eine Immobiliengesellschaft – Moskprop – gründen und die verdammte Bude ihren Besitzern, dem früheren KGB, abkaufen müssen, obwohl das letztlich nicht sonderlich schwierig gewesen war, weil Mamantow massenhaft Freunde in der Lubjanka hatte, die für einen Anteil an der Transaktion nur allzu bereit waren, Staatsbesitz für einen Bruchteil seines wahren Wertes zu verkaufen. Manche Leute mochten das Korruption oder sogar Räuberei nennen. Er zog den westlichen Ausdruck vor: Privatisierung. Die Tunesier waren nach Ablauf ihres Mietvertrags im August endlich vor die Tür gesetzt worden, und Rapawa hatte ihn unmittelbar zu der Stelle im Garten geführt. Der Werkzeugkasten war ausgegraben worden. Mamantow hatte das Tagebuch gelesen, war nach Archangelsk geflogen, war auf genau derselben Spur wie Kelso und O’Brian ins Herz des Waldes vorgedrungen. Und er hatte das Potential, das dort verborgen lag, sofort erkannt. Aber außerdem hatte er den Verstand – das Genie, könnte man vielleicht sogar sagen, aber dieses Urteil wolle er anderen überlassen –, also sagen wir, genügend Grips gehabt, um zu erkennen, was Kelso gerade eben so schlagend bewiesen hatte: daß Geschichte letzten Endes eine Sache der Subjektivität und nicht der Objektivität ist.
    »Nehmen wir an, ich wäre mit unserem gemeinsamen Freund nach Moskau zurückgekehrt, hätte eine Pressekonferenz einberufen und verkündet, er sei Stalins Sohn. Was wäre dann passiert? Ich verrate es Ihnen. Nichts. Man hätte mich ignoriert. Verspottet. Des Betrugs

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