Aurum & Argentum (German Edition)
drückte und zu wimmern begann, nun beeindruckte ihn der Drache offenbar doch. Dieser entfaltete gerade seine Schwingen und stellte sie warnend auf, er senkte leicht das Haupt mit den Hörnern, von denen eines leicht ramponiert war.
„ Was habt ihr hier zu suchen?“, donnerte mit einem Mal seine tiefe Stimme wie ein Gewitter. Genau in diesem Moment sprang hinter einem Felsvorsprung ein Zwerg hervor, er gestikulierte wild mit den Armen und schrie: „Lass die Kinder in Ruhe, du Bestie!“ Auf seinen kurzen Beinchen kam die halbe Portion angewatschelt und stellte sich, zitternd wie Espenlaub, vor das Untier.
„ Was macht der denn hier?“, fand Calep endlich seine Stimme wieder. „Will dieser Idiot von einem Bes als Drachenfutter enden?“
Was er eben noch im Spaß gesagt hatte, erwies sich in der nächsten Sekunde schon als furchtbare Wahrheit. Der kleine Häuptling warf sich nämlich auf den Bauch und schrie: „Wenn du schon jemanden fressen musst, dann mich! Und lass die Kinder in Frieden! Sie haben dir nichts getan, du Inkarnation des Teufels!“
„ Inkar-was?“, wunderte sich Calep, doch jetzt war nicht der richtige Augenblick, um ihm zu erklären, dass dieses Wort „Fleischwerdung“ bedeutete, also die Materialisation eines überirdischen Wesens.
„ Verschone sie!“, flehte der Medizinmann. „Sie haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Ich habe meines mit meiner Unfähigkeit längst verwirkt.“
Als Reaktion darauf schielte der Drache erst nach rechts, dann nach links, um anschließend den Rachen ein Stück weit zu öffnen, zum Sprechen kam er jedoch nicht mehr.
„ Das hast du nun davon!“, zeterte eine Frauenstimme, die ganz sicher nicht von dem Drachen stammte. „Ich hab es dir nicht ein Mal gesagt, ich habe es dir tausend Mal gesagt! Nun hast du den Beweis, du bist ein alter mürrischer Griesgram! Ein verstockter Kauz! Ein muffeliger …“ Die Stimme verstummte, offenbar musste ihr Besitzer erst einmal Luft holen, das gab dem Bes-Häuptling Gelegenheit, die Hände zu falten und zum Himmel hinauf zu starren.
„ Oh ihr großen Götter! Dank sei euch! Nun habt ihr uns doch noch einen Engel geschickt, der uns errettet. Einen Götterboten. Dank sei euch und vor allem dir, großer Bes, göttlicher Urahn unseres Volkes! Alles sehender Orakelgott!“
Flux schüttelte wie in Trance mit dem Kopf, er verstand schon lange nicht mehr, was hier gespielt wurde, seinem Kumpel erging es offenbar ähnlich. Der tippte sich nämlich sehr auffällig immer wieder an die Schläfe.
„ Geht es dem nicht gut? Hat er den Verstand verloren? Glaubt der allen Ernstes, von einem Gott abzustammen?“, der junge Hobgoblin rümpfte die Nase. „Also wenn das so ist, dann stamme ich wohl vom großen Pan ab!“
„ Scht!“, gebot Leon ihm Einhalt, der sich langsam fasste. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt zum Scherzen.
„ Oh ihr Götter!“, fing der Medizinmann schon wieder an.
„ Ruhe!“, befahl ihm die weibliche Stimme wenig zimperlich. „Ich bin noch nicht fertig!“
Es war schon verblüffend, aber der große Drache zuckte tatsächlich merklich zusammen.
„ Ja, mein Lieber, schäme dich! Sieh, was du angerichtet hast! Dieser arme Wicht ist wegen dir ein reines Nervenbündel. Sein Stamm respektiert ihn schon lange nicht mehr – ich war dabei, wie ihn alle gestern für unfähig erklärten.“ Offenbar stimmte das, denn der Häuptling brabbelte nur wieder etwas von den allsehenden Göttern, die gelobt sein sollten. „Und nun schau dir erst einmal die armen Kinderchen an! Sie wissen vor Angst vermutlich nicht einmal mehr ihre Namen.“
„ Weiß ich wohl“, widersprach Calep, doch darauf ging die Frauenstimme nicht weiter ein, sondern zeterte weiter: „Der eine wäre wegen dir fast in die Tiefe gestürzt und zerschmettert!“
Der Drache öffnete den Rachen, offenbar wollte er etwas einwenden.
„ Du kannst dich auch später noch entschuldigen!“, krähte die Stimme des „Racheengels“. „Jetzt rede ich!“ Eine Minute lang herrsche Schweigen, die Himmelsbotin hatte wohl den Faden verloren. „Ach ja, genau … das wollte ich dir unbedingt noch sagen: du bist der größte Egoist diesseits und jenseits des türkisfarbenen Meeres! Du beschwerst dich, dass man sich überall Schauergeschichten über das Drachenvolk erzählt, aber du machst deinem schlechten Ruf alle Ehre!“
Wie wild nickte der Bes mit dem Kopf. Der Teufel des Gipfels aber schnaubte nun lautstark.
„ Es ist gut!“, grollte eine
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