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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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ich einen wirren Haufen umgestürzter Bücherge-stelle mit dicken Folianten überklettert hatte, erreichte ich den 32

    Kamin. An ihm saß ein alter, zusammengefallener Mann mit zerrissenen, schmutzigen Kleidern, die ihm viel zu weit waren, unrasiert, ein Clochard, wie es schien, den kahlen Schädel vom Lichte der Flamme beschienen, eine grauenerweckende Erscheinung, in welcher ich nur allmählich den ›Rotmantel‹
    erkannte. Auf seinen Knien hielt er das Bild des Niederländers, auf welches er bewegungslos starrte und an dessen Rahmen ebenfalls ein Zettel klebte. Ich grüßte, und erst nach langem schaute er auf. Zuerst schien er mich nicht zu erkennen, auch wußte ich nicht, ob er betrunken war, denn am Boden lagen einige leere Flaschen herum. Endlich begann er zu reden, mit krächzender Stimme, doch ist mir entfallen, wovon er zuerst sprach. Es mögen höhnische Worte gewesen sein, die er stammelte, welche seinen Untergang verkündeten, den Verlust seiner Güter, seiner Fabriken und seines Trusts, oder die Notwendigkeit, sein Haus und unsere Stadt zu verlassen. Doch was nun folgte, habe ich erst begriffen, als ich die Kinder in der Stube ihr Kartenhaus bauen und ebenso mühsam wieder zerstören sah. Er klopfte mit seiner mageren, alten Hand ungeduldig auf seinen rechten Schenkel. »Da sitze ich im schmutzigen Kleide meiner Jugend«, schrie er mit einem Male wütend, »im Kleide meiner Armut. Ich hasse dieses Kleid und diese Armut, ich hasse den Dreck, ich habe ihn verlassen, und nun bin ich wieder in diesen klebrigen Morast zurückgesun-ken«, und schleuderte eine Flasche gegen mich, die, weil ich auf die Seite trat, irgendwo hinter mir in der Tiefe zerschellte.
    Er wurde ruhiger und sah mich mit seltsamen, stechenden Augen an. »Kann man aus Nichts Etwas machen?« fragte er lauernd, worauf ich mißtrauisch den Kopf schüttelte. Er nickte traurig. »Du hast recht, Kerl«, sagte er, »du hast recht«, und riß das Bild aus dem Rahmen und warf es ins Feuer. »Was tun Sie«, rief ich entsetzt und sprang hinzu, um das Bild aus dem Feuer zu zerren, »Sie verbrennen den Bosch.« Er warf mich jedoch mit einer solchen Kraft zurück, die ich dem Alten nicht 33

    zugetraut hätte. »Das Bild ist nicht echt«, lachte er. »Das solltest du wissen, der Arzt weiß es schon lange, der weiß immer alles schon lange.« Der Kamin flammte gefährlich auf und übergoß uns mit seinem flackernden, tiefroten Schein.
    »Sie haben es selber gefälscht«, sagte ich leise, »und deshalb wollten Sie es wieder haben.« Er sah mich drohend an. »Um aus Nichts Etwas zu machen«, sagte er. »Mit dem Geld, welches ich mit diesem Bilde gewann, habe ich mein Vermö-
    gen gemacht, es war ein schönes Vermögen, ein stolzes Vermögen, und wenn dieses Bild wieder in meinen Besitz gekommen wäre, hätte ich aus Nichts Etwas geschaffen. Oh, eine genaue Rechnung in dieser jämmerlichen Welt.« Dann starrte er wieder ins Feuer, saß da in seinem zerschlissenen, schmutzigen Kleid, arm wie einst, sinnlos, ein grauer Bettler, unbeweglich, erloschen. »Aus Nichts Etwas«, flüsterte er, immer wieder, leise, kaum daß sich seine fahlen Lippen bewegten, unaufhörlich, wie das Ticken einer gespenstischen Uhr: »Aus Nichts Etwas. Aus Nichts Etwas.« Ich wandte mich traurig von ihm, tastete meinen Weg durch das gepfändete Haus zurück und achtete nicht darauf, wie ich auf die Straße kam, daß plötzlich von allen Seiten Menschen auf das Haus, welches ich verlassen hatte, zu eilten, mit weitaufgerissenen Augen, in denen das Entsetzen stand, in die ich erst dann zu starren glaubte, als sich der Frost der Scheibe zusammenzog, durch welche ich, Jahre später, nach den Kindern geschaut hatte, nach ihren Karten und ihren Händen auf dem runden Tisch, so daß nur noch der Fensterrahmen vor mir in der Dämmerung schwebte, der unbeweglich eine leere Fläche umschloß.

    34

    Der Theaterdirektor
    1945

    Der Mensch, dem die Stadt erliegen sollte, lebte schon unter uns, als wir ihn noch nicht beachteten. Wir bemerkten ihn erst, als er durch ein Betragen aufzufallen begann, das uns lächerlich schien, wie denn in jenen Zeiten über ihn viel gespottet worden ist: Doch hielt er die Leitung des Theaters schon inne, als wir auf ihn aufmerksam wurden. Wir lachten nicht über ihn, wie wir es bei Menschen zu tun pflegen, die uns durch Einfalt oder Witz ergötzen, sondern wie wir uns bisweilen über unanständige Dinge belustigen. Doch ist es schwierig anzuführen, was in den

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