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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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des Unfreiwillig-Komischen hatten wir nicht gerechnet. Wenn sie auch weiterspielte, so war es doch gewiß, daß sie es bemerkte, wie 39

    ich denn auch vermute, daß sie eher als wir vom Unvermeidli-chen ihres Untergangs wußte. Um diese Zeit wurde ein Werk vollendet, worüber in unserer Stadt schon lange gesprochen worden war, und das wir mit großer Spannung erwartet hatten.
    Es ist zwar so, daß sich mit diesem Bau schon viele auseinan-dergesetzt haben, doch muß ich hier erwähnen, bevor ich zu ihm Stellung nehme, daß es mir noch heute unverständlich wäre, wie er sich die Mittel zu diesem neuen Theater hatte verschaffen können, wenn sich nicht ein Verdacht gezeigt hätte, den ich nicht von der Hand zu weisen vermag. Wir haben aber damals dem Gerücht noch nicht Glauben schenken können, welches diesen Bau mit jenen gewissenlosen Kreisen unserer Stadt in Verbindung brachte, die seit jeher nur auf eine schrankenlose Vermehrung ihrer Reichtümer ausgingen und gegen die sich die Aufstände jener richteten, die er ebenfalls beeinflußte. Wie es nun auch sei, dieser Bau, der heute zerstört sein soll, kam einer Gotteslästerung gleich. Es hält jedoch schwer, über diesen Bau zu reden, der sich äußerlich als eine ungeheuerliche Mischung aller Stile und Formen darbot, ohne daß man ihm etwas Großartiges hätte absprechen können. Es war ein Gebäude, welches nicht das Lebendige offenbarte, das in der starren Materie zum Ausdruck zu kommen vermag, wenn die Kunst sie verwandelt, sondern das bewußt darauf ausging, das Tote hervorzuheben, das ohne Zeit und nur unbewegliche Schwere ist. All dies aber bot sich uns ohne Mäßigung nackt und schamlos dar, ohne jede Schönheit, mit Eisentüren, die oft über allem Maß riesenhaft, bald aber auch geduckt wie Gefängnistore waren. Der Bau schien durch ungefüge Zyklopenhände aufeinandergetürmt worden zu sein, in sinnlosen Marmorblöcken, an die sich schwere Säulen ohne Zweck lehnten, doch war dies nur scheinbar, denn alles an diesem Bau war auf bestimmte Wirkungen hin berechnet, die darauf ausgingen, den Menschen zu vergewaltigen und in den Bann einer reinen Willkür zu ziehen. So standen etwa im 40

    Gegensatz zu diesen rohen Massen und brutalen Proportionen einzelne Gegenstände, die handwerklich mit einer Exaktheit ausgearbeitet worden waren, daß sie, wie gerühmt wurde, bis auf einen Zehntausendstel-Millimeter stimmten. Erschreckender noch war das Innere mit dem Theatersaal. Er lehnte sich an das griechische Theater an, seine Form wurde jedoch sinnlos, weil sich über ihn eine seltsam geschwungene Decke spannte, so daß wir nicht zu einem Spiel zu schreiten schienen, als wir diesen Saal betraten, sondern wie zu einem Fest im Bauch der Erde. So kam es zur Katastrophe. Wir erwarteten damals das Spiel mit einer lautlosen Spannung. Wir saßen bleich aneinan-dergedrängt in immer weiteren Kreisen und starrten nach dem Vorhange, der die Bühne deckte, auf dem eine Kreuzigung als eine höhnische Farce dargestellt war: Auch dies nahm man nicht als Frevel, sondern als Kunst hin. Dann begann das Spiel.
    Es wurde später davon gesprochen, zuchtlose Mächte der Straße hätten diese Revolution gemacht, damals aber saßen jene unserer Stadt im Saale, die sich ihres Glanzes und ihrer Bildung am meisten gerühmt hatten und im Theaterdirektor den großen Künstler und Revolutionär der Bühne feierten, in seinem Zynismus Geist sahen und ahnungslos waren, wie bald der Bursche sich anschickte, aus dem Ästhetischen heraus, das sie an ihm bewunderten, in Bezirke zu brechen, die nicht mehr ästhetisch waren; wie ihm ja auch zur Eröffnung des neuen Hauses, bevor noch das Spiel begann, unter donnernden Hochrufen der festlichen Gesellschaft vom Staatspräsidenten der Shakespeare-Preis übergeben wurde. Welches Werk der Klassiker zur Einweihung gespielt wurde, ob es sich um Faust oder den Hamlet handelte, entsinne ich mich nicht mehr, doch war die Regie derart, wie der Vorhang mit der Kreuzigung sich nun hob, daß diese Frage gleichgültig wurde, bevor es möglich war, sie zu stellen: Mit einem Klassiker oder mit dem Werk eines anderen Dichters hatte dies nichts mehr zu tun, was sich jetzt vor unseren Augen ereignete, oft unterbrochen vom 41

    begeisterten Beifall der Regierung, der Gesellschaft und der Elite der Universität. Eine fürchterliche Gewalt verfuhr mit den Schauspielern wie ein Wirbelwind, der Häuser und Bäume übereinanderwirft, um sie dann liegen zu lassen. Die Stimmen

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