Aus den Papieren eines Wärters
von diesem Hundesohn? Warum hängt er hier?«
»Er ist ein Gefangener, Exzellenz«, antwortete ich, immer noch in Achtungsstellung.
Er stampfte auf den Boden. »Er ist ein Wärter, zum Teufel«, knurrte er. »Ein Wärter wie du auch einer werden willst, wenn du den Mut zu sowas hast.«
»Ich bin entschlossen, einer zu werden«, antwortete ich unbeweglich.
»Sehr gut«, nickte der Kommandant mit dem Kopf, »ich sehe, du bist immer noch der gleiche brave Lumpenkerl.
Brauchbar zu allem, wie damals im Schützengraben. Sieh nun gut zu, Kindchen, was ich jetzt mache.«
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Und er drückte die brennende Zigarre an des hängenden Mannes Brust aus, daß er laut aufstöhnte.
»Hänschen?« fragte er mich.
»Exzellenz«, stammelte ich totenbleich.
»Der Hund baumelt seit zwölf Stunden«, sagte der Kommandant. »Und er ist ein braver Hund, ein gutes Wächtertier.«
Er trat vor mich hin. Der greise Riese überragte mich fast um zwei Kopflängen. »Weißt du, wer diese Schweinerei angeordnet hat, Hänschen?« fragte er drohend.
»Nein, Exzellenz«, antwortete ich und schlug die Absätze zusammen.
»Ich, Hänschen«, sagte der Kommandant und lachte. »Und weißt du weshalb? Weil der Schweinehund sich einbildete, er sei kein Wärter.«
»Was glaubte er denn zu sein?« fragte ich.
»Ein Gefangener«, sagte der Kommandant.
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Anhang
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Anmerkung I
Die hier vorliegende Prosa ist in ihrer Anlage zwischen den Jahren 1942 und 1946 entstanden, also im Wesentlichen vor den Dramen, deren Vorfeld sie ist. An der Stadt wurde bis 1952 immer wieder gearbeitet: Die hier vorliegende Fassung ist, wenn auch nicht ganz der Sprache nach, im großen jene des Jahres 1947. Die 1946 geschriebene Falle erschien unter dem Titel ›Der Nihilist‹ in der Holunderpresse Horgen, der ebenfalls im gleichen Jahr entstandene Pilatus in der Vereinigung der Oltner Bücherfreunde.
Ich versuchte in jener Zeit, nachdem ich mich, als Zeichner, nur im Bilde wohlgefühlt hatte (eine für mich nicht unbeträchtliche Gefahr), Philosophie zu studieren, ein vielleicht merkwürdiger Ausweg, doch stand kein anderer offen, mir vom Bilde, das mich besaß, eine, wenn auch zuerst geringe, Distanz zu schaffen, eine Distanz, in der ich wenigstens etwas atmen konnte. Es galt gleichsam, eine allzu schwere Anziehungskraft zu überwinden. So ist denn unschwer zu erkennen, daß hinter der Stadt Platons Höhlengleichnis steht. Diese Prosa ist nicht als ein Versuch zu werten, irgendwelche Geschichten zu erzählen, sondern als ein notwendiger Versuch, mit sich selbst etwas auszufechten, oder, wie ich vielleicht besser, nachträglich, sage, einen Kampf zu führen, der nur dann einen Sinn haben kann, wenn man ihn verlor.
Geschrieben 1952 als Nachwort zum Sammelband ›Die Stadt‹, Verlag der Arche, Zürich 1952.
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Anmerkung II
Zu meiner ersten Prosa ist nachträglich zu bemerken, daß mich vor allem Die Stadt nicht losließ. Bevor ich sie 1952 veröffentlichte, versuchte ich sie umzuschreiben, Aus den Papieren eines Wärters, ein Stoff, dem ich damals nicht gewachsen war.
Es ist ein Zwischendokument. In einem neuen Anlauf vollendete ich den Stadt -Stoff zwanzig Jahre später in einem Werk, das unter dem Titel Stoffe erscheinen wird: erst dann war ich ihm denkerisch gewachsen. Daß er in der ›Frühen Prosa‹
erscheint, bin ich ihm und mir schuldig.
Geschrieben 1980 für die vorliegende Ausgabe.
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